Der große Ameisenforscher Bert Hölldobler hat die Fremdenfeindlichkeit bei Ameisen gründlich studiert, und er beschreibt aggressives Diskriminieren und Attackieren, dass einem die Spucke wegbleibt. Hölldobler weiß, dass in manchen Tier-Gemeinschaften, bei denen das Individuum nichts und die Gruppe alles bedeutet, extremer Altruismus (ich kämpfe für die Meinen bis zum Tod) und die Ablehnung alles Fremden (nur ein toter Fremder ist ein guter Fremder) untrennbar zusammengehören.
Dieses Verhalten, jeden zu bekämpfen, der nicht dazugehört, haben nicht nur die fleißigen Ameisen geerbt, sondern auch wir Menschen. Bestialische Territorialkämpfe, mörderische Stammesfehden und die aggressive Konkurrenz um Ressourcen, das alles findet sich auch bei uns Primaten. Doch auch wenn die Evolution es eingerichtet hat, dass wir zur Fremdenfeindlichkeit neigen, sollten wir keine falschen Schlüsse daraus ziehen. Das Wissen um dieses Erbe rechtfertigt keine rechtspopulistische Haltung. Obwohl der Mensch ein „nackter Affe“ (Konrad Lorenz) ist, hat er auch Intelligenz, Kultur, Moral und die Fähigkeit zu kooperieren entwickelt. Mit unserem großen Gehirn sollten wir in der Lage sein, zu realisieren, dass Fremdenfeindlichkeit längst nicht mehr zeitgemäß ist und gezähmt gehört. Wir wollen ja auch sonst nicht mit einer Ameise verglichen oder auf eine Intelligenzstufe mit Insekten gestellt werden.
Wir sollten also bei jeder weiteren Sarrazin-Debatte unser großes Gehirn einschalten und alles dafür tun, dass der „Kulturaffe“ in uns siegt, um unterstützt von Pädagogen, Politikern und Philosophen die in uns schlummernde Fremdenfeindlichkeit in Schach zu halten.
Meint Ihre
Ilona Jerger, Chefredakteurin