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Alge des Jahres 2018: ein Pionier

Klebsormidium wächst selbst an extremsten Orten

Alge des Jahres 2018: ein Pionier
Klebsormidium-Algen
Winzige grüne Fädchen: Mikroskopaufnahme von Klebsormidium crenulatum aus einer Bodenkruste in den Tiroler Alpen. (Foto: Andreas Holzinger/ Universität Innsbruck)
Sie ist Pionier, Lebenskünstler und auf unserer Erde fast allgegenwärtig: Die winzigen Fäden der mehrzelligen Grünalge Klebsormidium siedeln selbst da, wo keine andere Pflanzen überleben kann. Wegen ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten wurde sie nun zur Alge des Jahres 2018 gekürt.

Ohne es zu wissen, haben wir wahrscheinlich alle schon einmal Klebsormidium-Algen gesehen. Denn überall dort, wo ein unscheinbarer grüner Flaum auf kargem Boden oder sogar feuchten Steinen wächst, steckt möglicherweise diese mehrzellige Grünalge dahinter. Ihre feinen grünen Fäden sind zehnmal dünner als ein menschliches Haar und daher erst in der Masse überhaupt sichtbar. Wegen ihrer großen Bedeutung für irdische Ökosysteme, aber auch für die Wissenschaft, hat nun die Deutsche Botanische Gesellschaft Klebsormidium zur Alge des Jahres 2018 gekürt.

Pioniere der Pflanzenwelt

Klebsormidium-Algen sind echte Pioniere. Oft sind sie die ersten, die extreme Standorte besiedeln, beispielsweise den frisch freigelegten Boden eines abgetauten Gletschers. Die unscheinbaren Algen gedeihen selbst dort, wo keine andere Pflanze überleben könnte. Sie wachsen auf Sand, Gestein und Dünen, aber auch auf erkalteter Lava, auf Erdrutschen oder kargen Berghängen. Sogar in trockenen, heißen Wüsten oder in der Antarktis kann diese Alge überleben.

Gerade in diesen Lebensräumen ist Klebsormidium ein wesentlicher Teil der Bodenkrusten, den wahrscheinlich ältesten Landlebensformen auf unserem Planeten. Sie gelten als die Umgebung, die den Landgang der Pflanzen vor rund 450 Millionen Jahren erst ermöglichten. Noch heute machen die für die Trockengebiete der Erde typischen Bodenkrusten immerhin 25 Prozent der Landfläche aus – und spielen daher für den Kohlendioxid-Haushalt der Erde eine große Rolle: Rund acht Prozent des weltweit von der Vegetation aufgenommenen CO2 entfällt auf die Bodenkrusten.

Scheintot fürs Überleben

Dass dieser Pionier unter den Pflanzen selbst extreme Lebensräume nicht scheuen muss, verdankt sie einige genialen Anpassungen. Eine davon: Wenn ihnen das lebensspendende Wasser fehlt, können Klebsormidium-Algen mehrere Monate lang in den Scheintod verfallen. Sie verharren dann in einem Zustand zwischen Leben und Tod und zeigen keinerlei Lebensreaktionen mehr.

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Doch die Algen sind nicht tot, sondern erwachen innerhalb weniger Minuten wieder zum Leben, sobald die Umgebung feucht wird. „Die Photosynthese-Maschinerie für die Energiegewinnung ist beispielsweise innerhalb von nur wenigen Minuten wiederhergestellt“, berichtet der Ökophysiologe Ulf Karsten von der Universität Rostock.

Rotmoostal

Klebsormidium ist oft die erste Alge, die den Boden zurückweichender Gletscher besiedelt, wie hier in im Rotmoostal im österreichischen Tirol. (Andreas Holzinger/ Universität Innsbruck)

Dicke Schutzhülle und Sonnenschutz

Während ihres „Scheintods“ schützt sich die Alge doppelt: Vor der Austrocknung bewahrt sie ihre besonders dicke, flexible Zellwand. Sie besteht nicht nur aus Zellulose, wie bei anderen Landpflanzen und Algen, sondern teilweise aus Kallose, einem Vielfachzucker, der selbst in dicken Schichten noch elastisch bleibt. Wird es ihr zu trocken, kann die Alge diesen Mehrfachzucker innerhalb von nur einer halben Stunde produzieren und in den Zellwänden anreichern. „So kann die Zelle wie eine Ziehharmonika schrumpfen und wieder anschwellen, ohne zu zerbrechen“, erklärt Andreas Holzinger von der Universität Innsbruck.

Gegen die schädliche Sonnenstrahlung schützt sich Klebsormidium zusätzlich durch ein selbst produziertes Sonnenschutzmittel. Es besteht aus zwei sogenannten mykosporin-ähnlichen Aminosäuren (MAAs). Diese ringförmigen Moleküle im Zellinneren nehmen schädliche UV-Strahlung auf und geben deren Energie in Form von Wärme und Fluoreszenzleuchten wieder ab. So absorbieren sie die UV-Strahlung und schützen das Erbgut in den Algenzellen. Gleichzeitig kann Klebsormidium mit ihrer Hilfe selbst bei hoher UV-Belastung effektiv Photosynthese treiben.

Modell-Organismus und praktischer Helfer

In der Forschung hat sich Klebsormidium als optimaler Modell-Organismus für den Landgang der ersten Pflanzen erwiesen. Denn sie gehört zu den einfachsten und ältesten Pflanzen der Erde und ihre Physiologie kommt denen der ersten Landpflanzen sehr nahe. Dennoch ist sie keineswegs einfach gestrickt. Denn sie besitzt auch überraschend fortgeschrittene Merkmale, beispielsweise der Samenpflanzen. So haben Forscher in ihrem Zellinneren bereits Rezeptoren für Hormone entdeckt, die Samenpflanzen für die Wahrnehmung von Umweltreizen einsetzen.

Erstaunlich auch: Klebsormidium-Algen vermehren sich ausschließlich durch Teilung und damit asexuell. Jede Tochtergeneration ist damit ein Klon der vorhergehenden – und das selbst dann, wenn es zu Mutationen und Kopierfehlern kommt. Nach gängiger Theorie erschwert daher eine rein asexuelle Vermehrung auf Dauer die Ausbreitung und das Überleben einer Art. Umso erstaunlicher ist die weltweite Verbreitung von Klebsormidium.

Doch die unscheinbare Grünalge hat auch ganz praktischen Nutzen: In Bodenkrusten bereitet sie Moosen, Farnen und Blütenpflanzen den Boden und erhöht die Bodenfruchtbarkeit. Deshalb werden diese lebenden Krusten beispielsweise eingesetzt, um dem Voranschreiten der Wüsten Einhalt zu gebieten oder Weiden ertragreicher zu machen. Auch wenn Klebsormidium und andere Bodenkrustenbewohner ein Leben im Verborgenen führen, haben sie eine enorme Bedeutung für die Ökosysteme der Erde.

Quelle: Universität Rostock

© natur.de – Nadja Podbregar
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