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Artenvielfalt, Landwirtschaft, Straßenbau – von Interessenskonflikten und Lobbyarbeit

Zweiter Teil des Interviews zum „Grünen Band“

Artenvielfalt, Landwirtschaft, Straßenbau – von Interessenskonflikten und Lobbyarbeit
Wanstschrecke im Grünen Band
Wanstschrecke im Grünen Band
Aus dem „Todesstreifen“ ein großes, lebendiges Naturschutzgebiet machen – das klingt nach einer tollen Idee. Doch seit der Wiedervereinigung gab es immer wieder andere Interessen, die dem Projekt im Weg stehen. In unserem Oktober-Heft (10/ 2014) ziehen wir passend dazu die gesamte „Ökobilanz der Wende“. Über die Probleme und Lösungen für den Naturschutz spricht unser Reporter Jan Berndorff die Initiatoren des Projekts „Grünes Band“, Hubert Weiger und Kai Frobel, sowie Projektleiterin Liana Geidezis.

natur: Als Sie kurz nach Mauerfall mit der Lobbyarbeit für das „Grüne Band“ begannen, konnten Sie schnell Klaus Töpfer, den damaligen Bundesumweltminister, für sich gewinnen. Aber es waren nicht alle offiziellen Stellen so begeistert, oder?

Weiger: Nein.  Auch, wenn Klaus Töpfer uns unterstützte, so gingen sein Ministerium selbst und auch das heute für die Initiative so wichtige Bundesamt für Naturschutz (BfN) noch nicht mit. Am ehesten kam noch etwas von der Bayerischen CSU, zunächst neben dem Kartierungsprojekt aber leider vor allem schöne Worte. Doch die rot-grüne Regierung in Hessen zum Beispiel interessierte sich so gut wie gar nicht.

Frobel: In Sachsen dagegen gab es zwei Leute am Umweltfachamt Plauen, die auch in Hof gewesen waren und die Sicherstellung mit Rückendeckung des Freistaats Sachsen vorantrieben. 1996 haben sie den gesamten Abschnitt Sachsens unter Schutz gestellt. 42 Kilometer sind das zwar nur, aber die sind bis heute der bestgeschützte Abschnitt des Grünen Bands.

Natur: Und da sind die anderen Landesregierungen nicht gefolgt?

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Weiger: Das hätte man vermuten können. Aber leider wurde der Prozess nun noch mühsamer. Denn es gab zwei Gesetze, die uns das Leben schwer machten: Zum einen das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz von 1991, das eine möglichst rasche Realisierung von Infrastrukturprojekten zur deutschen Einheit vorsah, also etwa den Straßenbau. Fragen des Bedarfs wurden da gar nicht erst geprüft – und dadurch solche Vorhaben juristisch schwer anfechtbar. Zum anderen das Mauergrundstücksgesetz von 1996: Frühere Eigentümer von Grenzgebieten konnten diese nun zu einem günstigen Verkehrswert zurückkaufen. Und alles, was auf diesem Wege nicht wegging, verkaufte der Bund meistbietend. Ohne dabei Belange des Naturschutzes zu beachten. Die Erlöse gingen in einen Fonds zur Förderung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Zwecke in den neuen Bundesländern. So ein Widersinn! Der beste Zweck für das Gemeinwohl war es doch, die Biotope zu erhalten!

Frobel: Eine gewisse Angela Merkel, damals Bundesumweltministerin, bestätigte uns das aber nochmal auf Anfrage: Der Naturschutz habe dabei keinen Vorrang. Es drohte das Aus für das Grüne Band.

Weiger: Die wollten alles verscherbeln…

Frobel: Allerdings sprangen zu dieser Zeit glücklicherweise – und nicht zuletzt in Reaktion auf die große Medienresonanz unserer Aktionen – die Umweltminister der Länder in die Bresche und betonten den Wert des Grünen Bands. Und dann haben wir umso lauter gebrüllt: Es könne doch nicht sein, dass die Umweltminister das Band erhalten wollen und die Finanzminister es für karitative Zwecke verscherbeln! Wobei wir natürlich Verständnis dafür hatten, dass ehemalige Eigentümer die Möglichkeit bekamen, ihr Land zurückzuerhalten. Aber auch da erfuhren wir später, dass die Ländereien am Ende oft in andere Hände gelangten, etwa Nachfolgegesellschaften der LPGs. Sie haben mit den rechtmäßigen Besitzern verabredet, dass diese ihren Besitz zurückfordern, um ihn dann unmittelbar an die Gesellschaft weiterzuverkaufen. Darum gibt es heute kilometerlange Abschnitte, die solchen Produktionsgesellschaften gehören.

Weiger: Fast zehn Jahre haben wir an diesen Fronten gekämpft…

Die Elbtalaue in Brandenburg

Große Gebiete, wie hier die Elbaltaue in Brandenburg, verdanken dem „Grünen Band“ ihre Artenvielfalt.

natur: Aber auch mit Erfolgen…

Weiger: Ja. Uns halfen dabei vor allem zwei Umstände: Die Tatsache, dass inzwischen alle betroffenen BUND-Landesverbände und der Bundesverband gemeinsam kämpfen. Und es gab einen entscheidenden Mann in leitender Stelle im Thüringer Umweltministerium. Der setzte sich aus seiner persönlichen Historie mit prägenden Grenzerfahrungen heraus für die Sache ein.

Frobel: Zupass kam uns auch die nun aufkeimende Diskussion um das Nationale Naturerbe der ehemaligen Truppenübungsplätze. Der Bundestag beschloss, dies zu sichern. Und auch das Grüne Band sind einstige Militärflächen. So konnte man das eine mit dem anderen verbinden.

Weiger: Ende der 90er Jahre kamen weitere günstige Faktoren hinzu: Das Bundesamt für Naturschutz stieg nun voll ein und auch Liana Geidezis kam Ende der 90er dazu, weil wir dank vieler Spenden eine neue Projektleiter-Stelle einrichten konnten. Sie kann sich nun umso intensiver darum kümmern, das Grüne Band voranzubringen. Und dennoch: Eigentlich ist es ein Hohn, dass wir jahrelang für etwas kämpfen, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte – nämlich, dass der Bund seine eigenen Flächen dem Gemeinwohl zur Verfügung stellt. Er ist laut Naturschutzgesetz sogar dazu verpflichtet, bei solchen Gelegenheiten dem Naturschutz Vorrang zu gewähren. Und jetzt müssen wir Naturschützer, um die Lücken im Grünen Band zu schließen, teilweise mit Verbandsgeldern Flächen teuer wieder zurückkaufen, die der Bund einst verhökert hat.

natur: Was konnte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) bewirken?

Weiger: 2001 haben wir mit seiner Unterstützung eine erste große Bestandsausnahme des Grünen Bands gemacht: Was gibt es da eigentlich alles für Biotope?

Frobel: Als ich das bereits zehn Jahre zuvor vom BfN gefordert hatte, wollten sie noch nicht. Jetzt dann doch…

Geidezis: Da war ich dann auch mit an Bord des Projekts. Und bei der Bestandsaufnahme kam heraus, dass 85 Prozent des Grünen Bandes noch naturnah, also ein funktionaler Biotopverbund sind. Das brachte natürlich einen Schub für den Prozess der Flächenübertragung. Diesen einzigen weitgehend intakten nationalen Biotopverbund durfte man doch unmöglich aus der Hand geben! Trotzdem mussten wir weiterhin jede Menge Lobbyarbeit leisten, wir haben Drittmittelprojekte durchgeführt am Grünen Band, oft finanziert vom BfN. Man muss sich ja klarmachen, dass bis heute nur 28 Prozent des deutschen Grünen Bandes unter wirklich strengem Naturschutz stehen, also Naturschutzgebiet oder Nationalpark sind. Natura 2000-Gebiete, also Gebiete der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie dazugenommen, sind es zwei Drittel. Die sind aber insofern problematisch, dass man da – einfach ausgedrückt – etwas kaputt machen darf, wenn man woanders dafür einen Ausgleich schafft. Das ist natürlich nicht im Sinne des Grünen Bandes. Viele Menschen – auch in den Medien – denken, das Grüne Band stünde schon vollständig unter Schutz. Davon sind wir aber leider noch weit entfernt. Es gibt noch Lücken von gut 180 Kilometern – also rund 13 Prozent des gesamten Bandes.

natur: Was sind das für Flächen?

Geidezis: Zumeist landwirtschaftlich intensiv genutzte Felder.

natur: Und besteht die Chance, die jetzt noch dem Naturschutz zuzuführen?

Geidezis: Ja, dazu gibt es das vom BfN im Rahmen des Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ finanzierte Lückenschluss-Projekt. Es beruht vor allem darauf, Flächen zu tauschen oder zu kaufen.

natur: Was kostet eigentlich so ein Hektar Intensiv-Ackerland?

Geidezis: Das ist eines unserer Probleme: Die Preise sind leider stark gestiegen. Als wir 2000 die ersten Flächen angekauft haben, zahlten wir noch 20 oder 30 Cent pro Quadratmeter, also 3000 Euro pro Hektar. Heute sind es zwischen 80 Cent und 1,50 Euro, teilweise noch mehr – also das Vier- bis Achtfache! Dennoch gibt es Landwirte, die uns die Flächen zu Mondpreisen vor der Nase wegschnappen. Diese Areale sind dann erst mal weg. Bleibt die Hoffnung, dass die irgendwann von der Einzigartigkeit des Grünen Bandes überzeugt werden und dann bereit sind, die Fläche einzutauschen.

natur: Also besteht die Arbeit heute vor allem im Lückenfüllen?

Ja, das ist ein wesentlicher Teil. Gleichzeitig verfolgen wir – auch wieder durch Lobbyarbeit – das Ziel, eine neue Schutzkategorie zu finden, die das Grüne Band in Gänze umfasst. Das wäre in Deutschland die 2009 ins Leben gerufene Kategorie „Nationales Naturmonument“ im Bundesnaturschutzgesetz. Bislang gibt es in dieser Kategorie noch kein Beispiel. Außerdem wollen wir erreichen, dass das Grüne Band zum UNESCO-Welterbe ernannt wird.

natur: Was wissen wir eigentlich über die Vielfalt von Fauna und Flora am Grünen Band?

Geidezis: Eine richtig umfassende Arterfassung im Grünen Band gibt es noch nicht. Bislang haben wir nur Daten für bestimmte Tiergruppen wie Vögel und Tagfalter, und das auch nur lokal. Dann gibt es noch Daten vom Geo-Tag der Artenvielfalt 2003 am Grünen Band, wo innerhalb von 24 Stunden über 5200 Tier- und Pflanzenarten kartiert worden sind. Das war in neun Gebieten. Und es gibt die Zahl von mindestens 1200 gefährdeten Arten am Grünen Band, diese basiert aber auf den Auswertungen von Schutzgebietsgutachten 2001 und vom Geo-Tag. Das war also im Prinzip eine Schreibtischarbeit, keiner war dafür extra im Feld.

natur: Genau wissen wir also gar nicht, wie wertvoll dieser Naturschatz ist?

Geidezis: Nein, sicherlich gibt es noch viel mehr gefährdete Arten am Grünen Band. Die zu erfassen, wäre mal ein sehr schönes Projekt.

Die Ost-West-Teilung bestand nicht nur in Deutschland. Wie das Projekt „Grünes Band“ auf Europäischer Ebene aussieht, erfahren Sie im dritten Teil des Interviews.

Den ersten Teil des Interviews über die Anfänge des Grünen Bands schon vor der Wiedervereinigung lesen Sie hier.

Im Oktober-Heft (natur 10/2014) ziehen wir außerdem die „Ökobilanz der Wende“. Dazu gibt es Michael Succow im persönlichen Interview, Vize-Umweltminister der DDR im Jahr 1990 und Träger des „Alternativen Nobelpreises“.

Hubert Weiger  

 

 

Hubert Weiger war von Anfang an beim Projekt „Grünes Band“ dabei. Heute ist er unter anderem Professor für Forstwirtschaft.

 

 

 

 

 

 

Kai Frobel  

 

 

Kai Frobel inmitten des Projekts, das er einst mit initiierte.

 

 

 

 

 

 

 

Liana Geidezis  

 

 

Liana Geidezis ist heute beim BUND als Projektleiterin für das „Grüne Band“ zuständig.

 

 

 

 

 

 

Weitere Infos zum grünen Band in Deutschland, in Europa und zusammengefasst vom Bundesamt für Naturschutz.

Fotos: Daniela Leitzbach (Titelbild und Elbaue), BUND

© natur.de – Jan Berndorff
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