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Bedroht durch den Ökotourismus?

Die Schattenseite des naturnahen Reisens

Bedroht durch den Ökotourismus?
Ökotourismus
Ökotouristen beim Schnorcheln im brasilanischen Mato Grosso (Foto: Benjamin Geffroy)
Ökotourismus gilt als sanfte, naturverträgliche Form des Reisens. Aber unbeabsichtigt könnte dieser Tourismus ausgerechnet die Tiere gefährden, die er zu schützen versucht, warnen nun Ökologen. Denn wenn Menschen in entlegene Gebiete vordringen, verändert ihre Gegenwart das Verhalten der dortigen Tiere. Und das macht diese anfälliger gegenüber Fressfeinden.

Ob der Besuch im Nationalpark, die Safari im Dschungel oder das Whale Watching: Der Ökotourismus boomt. „Neue Daten zeigen, dass die Schutzgebiete rund um den Globus pro Jahr rund acht Milliarden Besucher haben“, berichtet Daniel Blumstein von der University of California in Los Angeles. „Das ist mehr, als wenn jeder Erdenbürger einmal im Jahr ein solches Schutzgebiet besuchen würde.“ Allein der Wildtier-Tourismus, wie beispielsweise das Schwimmen mit Meeressäugern oder der Kontakt mit wilden Affen oder anderen Tieren, hat allein zwischen 1998 und 2008 um 30 Prozent zugenommen.

Bisher galt diese Form des Tourismus als relativ verträglich und schonend für die Tierwelt der betroffenen Gebiete – das ergaben zumindest viele Studien. Doch ein Aspekt wurde dabei meist außer Acht gelassen, wie Blumstein und seine Kollegen nun aufzeigen: Allein die Präsenz des Menschen in zuvor entlegenen oder unberührten Gebieten kann das Verhalten der dortigen Tiere negativ beeinflussen.

Wachsamkeit lässt nach

Eine Folge des Ökotourismus ist der „Schutzschild-Effekt“ – die Anwesenheit der Menschen schreckt Raubtiere ab. Dies führt jedoch dazu, dass sich die potenzielle Beute in Sicherheit wiegt. „Die Tiere werden weniger wachsam“, sagt Blumstein. So verbringen beispielsweise manche Affen in von Menschen besuchten Gebieten mehr Zeit damit, am Boden nach Futter zu suchen – normalerweise ein hoch riskanter und daher gemiedener Ort. Gabelböcke und Elche heben in Touristengebieten beim Grasen seltener den Kopf und bilden kleinerer Gruppen als sonst.

Prinzipiell ist das kein Problem – solange die menschlichen „Schutzschilde“ präsent sind. Doch wenn die Besucher plötzlich ausbleiben, beispielsweise nachts oder wenn die Saison zu Ende geht, kann das fatale Folgen haben. Denn nun werden die mutiger und nachlässiger gewordenen Tiere zu einer leichten Beute für die wiederkehrenden Raubtiere. Das könnte zu verstärkter Dezimierung bestimmter Arten in den besuchten Gebieten führen, warnen die Forscher.

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Leichte Beute für Wilderer

Noch gravierender ist wahrscheinlich ein zweiter Nebeneffekt des Ökotourismus: Die Tiere gewöhnen sich an die Präsenz von Menschen und lernen, dass diese zweibeinigen Wesen für sie keine Gefahr bedeuten. Möglicherweise verbinden sie die Touristen sogar mit Futter. Das aber führt dazu, dass sie auch vor Wilderern nicht mehr fliehen oder zumindest nicht rechtzeitig. „Gorillas, die an Touristen gewöhnt sind, greifen Wilderer nicht so schnell an und flüchten auch später“, berichten Blumstein und seine Kollegen.

Wie groß diese Gefahr für Wildtiere ist, hängt allerdings auch von ihrer Intelligenz ab: „Elefanten können Massai-Jäger an der Stimme von den für sie ungefährlichen Frauen und Kindern unterscheiden“, so die Forscher. Auch Mufflons lernen schnell, dass vor allem das Bellen der Hunde bei einer Treibjagd für sie Gefahr bedeutet, nicht aber das Klicken der Touristen-Kameras. Dennoch: Solange das Problem der Wilderei in vielen Schutzgebieten nicht beseitigt ist, kann der Ökotourismus dazu beitragen, ohnehin bedrohte Tierarten noch weiter zu gefährden.

Wie die Forscher betonen, kann für Ökosysteme bereits eine kleine Störung enorme Folgen haben. Verschiebt sich das Räuber-Beute-Gleichgewicht oder sterben überproportional viele Tiere einer Art durch Wilderei, dann beeinträchtigt das die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems. „Die massive Zunahme von Natur- und Ökotourismus kann daher durchaus zur langen Liste der menschenbedingten Umweltveränderungen hinzugefügt werden“, konstatiert Blumstein. „Diese langfristigen Folgen des Ökotourismus müssen künftig stärker berücksichtigt werden.“

Quelle: Cell Press, Fachartikel: Trends in Ecology & Evolution, doi: 10.1016/j.tree.2015.09.010

© natur.de – Nadja Podbregar
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