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Bergung der Costa Concordia

Endstation Riff?

Bergung der Costa Concordia
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Die havarierte Costa Concordia vor der Insel Giglio
Heute wird versucht die 2012 havarierte „Costa Concordia“ aus dem Wasser zu ziehen und aufzurichten. Es ist eine historische Operation. Über die Alternative zur Bergung haben wir bereits im vergangenen Jahr in natur berichtet

concordia_mittel.jpgAusgediente Flugzeuge, sogar Panzer wurden schon versenkt – und von Fischen und Korallen als neuer Lebensraum erobert. Taugt die Option „letzte Ruhe auf dem Meeres-boden“ auch für die havarierte Costa Concordia?  Das fragte sich natur-Autorin Sara Mously in unserer Ausgabe vom Juni 2012. 

Wie ein weggeworfenes Spielzeug liegt es da. Egal, wie oft man die Bilder schon gesehen hat, vom Hubschrauber oder von der italienischen Insel Giglio aus aufgenommen, an den Anblick gewöhnt sich das Auge nicht. Zu gigantisch, zu grotesk mutet dieser Fremdkörper an, das Wrack des havarierten Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia.

Rund 50 000 Tonnen Stahl muss ihr Besitzer, die Reederei Costa Crociere binnen Jahresfrist aus dem Mittelmeer entfernen. Das 290 Meter lange und 36 Meter breite Wrack zu bergen, wird eine Operation, die es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben hat, weiß Peter Meyer. Er ist Leiter der Abteilung „Seeschlepp und Bergung“ des Bergungsunternehmens Bugsier. Die Hamburger Reederei hat sich nicht an der Ausschreibung beteiligt: Von den zehn Unternehmen, die um den Auftrag konkurriert haben, war vor der Bekanntgabe, wer den Zuschlag erhält, keines bereit, sich zu seiner Bergungsstrategie zu äußern.

Meyer erklärt, dass in der Vergangenheit zwar schon ähnlich große Schiffe geborgen wurden wie die Costa Concordia. Das Passagierschiff „Lafayette“ etwa, das 1942 in einem New Yorker Hafenbecken sank. Den Unterschied macht jedoch die Lage des Schiffs: Der US-amerikanische Dampfer hatte sich vor 60 Jahren in stabiler Seitenlage eingerichtet, noch dazu in den leicht zugänglichen Gefilden eines Hafenbeckens. Die Costa Concordia dagegen hängt mit 70 Grad Schlagseite auf schrägem Untergrund fest, der teils aus Fels, teils aus Sand besteht. Unweit des Wracks fällt der Meeresboden steil ab – alles in allem eine recht unberechenbare Position. Rutscht das Schiff ab – etwa durch Wellenbewegungen oder den Versuch der Berger, es aufzurichten, droht es, vollständig in der Tiefe zu versinken.

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Zunächst stehen die Berger vor der Aufgabe, das Schiff mithilfe von Ketten und Hydraulik-Zuggeräten aus seiner Schräglage aufzurichten. Gleichzeitig können Kammern aus Stahlplatten ins Schiffsinnere montiert werden, die kontrolliert mit Druckluft befüllt werden. So lässt sich die Drehung des Schiffs unterstützen, zudem bekommt es dadurch Auftrieb. Auf diese Weise wieder einigermaßen schwimmfähig gemacht, ließe sich die Costa Concordia mithilfe von Schleppern und seitlich angebrachten Schwimm-pontons zu einer Abwrackwerft etwa im nahe gelegenen Livorno oder nach Genua ziehen.

 

Naturereignis statt Notlösung

Gelingt den Fachleuten die Bergung nicht, bleibt ihnen eine erprobte Notlösung: Den Schiffskörper mit einem diamantenbesetzten Stahlseil zerschneiden und das Wrack stückweise auf Schwimmpontons abtransportieren. Eine Methode, die 2003 bis 2004 beim Wrack des im Ärmelkanal gesunkenen Autofrachters Trikolor zum Einsatz kam.

Egal, ob man das Wrack am Ende abschleppt oder es in Stücke sägt, es wird teuer: Auf rund 100 Millionen Euro schätzt Meyer den Preis. Angesichts solch schwindelerregender Kosten stellt sich die Frage, warum man nicht auf die Bergung verzichtet und das Wrack einfach an Ort und Stelle im Meer versenkt. Diese Art der Entsorgung würde möglicherweise nicht nur die Kassen der zuständigen Versicherung entlasten, sie könnte unter bestimmten Umständen auch dafür sorgen, dass sich künftig vor der Küste Giglios ein einzigartiges Naturschauspiel ereignet. Wie in vielen anderen Schiffswracks auf dem Meeresgrund würden schon bald bunte Fische durch Fenster und offen stehende Türen huschen, Gänge und Kammern bevölkern; nach und nach würde die Stahlkonstruktion unter einem immer dichteren Pelz aus Algen, Muscheln und Korallen verschwinden. Das Wrack würde sich in einen
gigantischen Natur-Spielplatz verwandeln, für Mittelmeerfische ebenso attraktiv wie für Taucher.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit aus ausrangierten Fahrzeugen künstliche Riffe gemacht. Vor der Küste des US-Bundesstaates Delaware etwa, wo der Meeresboden flach und sandig ist und wenig Unterschlupf für Meerestiere bietet, hat man seit 2001 Hunderte von ausrangierten U-Bahn-Waggons aus New York versenkt. Die Zahl der Lebewesen soll in der Region seither um das 400-Fache gestiegen sein.

Um Korallenparadiese zu schaffen, wurden auch vor den Küsten Thailands ausgemusterte Fahrzeuge ins Meer gekippt: darunter Tanker und Müllfahrzeuge, sogar Helikopter und kleine Militärflugzeuge liegen dort auf dem Meeresgrund. Der größte je zu einem künstlichen Riff umfunktionierte Gegenstand war der US-amerikanische Flugzeugträger Oriskany. Im Mai 2006 wurde der 27 000 Tonnen schwere Stahlkoloss vor der Küste Floridas mit Sprengstoff durch-löchert und in 64 Metern Tiefe versenkt. Dort dient er nun als „Great Carrier Reef“ und wird von Dutzenden Arten bevölkert. Taucher berichten von Barrakudas, Haien, Red Snappern und von bis zu zweieinhalb Meter langen Zackenbarschen.

Nicht nur ausgemusterte Stahlteile landen als Fisch-Behausungen im Meer; auch eigens dafür gegossene Betonelemente: An zwei Stellen in der Ostsee beispielsweise, wo Mitarbeiter der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern knapp 1500 Kegel, Ringe und Betonkörper versenkten. Deren raue Betonoberflächen sollten zunächst Algen, kleinen Krebsen, Muscheln und Würmern Halt geben, später sollten sich größere Arten ansiedeln. Der Plan ging auf: Heute tummeln sich Dorsche, Seesterne, Seehasen und Schwimmgrundeln in den von Miesmuscheln und Seepocken überzogenen Riffen aus Beton.

 

Wozu der Aufwand?

Fischen und Algen scheint es also recht egal zu sein, ob ihre Umgebung aus echtem Felsen besteht, aus Stahl oder Beton, solange sie genügend Nischen bietet, in denen es sich geschützt fressen und brüten lässt. Wozu also der immense Aufwand, der um die Bergung der Costa Concordia betrieben wird?

In der Tat sprechen gewichtige Gründe dagegen, das gigantische Schiff vor Giglio zu versenken. Der erste und wichtigste: Bei der Region um die Insel handelt es sich um einen besonders artenreichen Winkel des Mittelmeers, den Nationalpark Toskanischer Archipel, Italiens größtes Meeresschutzgebiet. Taucher schwärmen von dem kristallklaren, smaragdfarbenen Wasser, von Hornkorallen-Wäldern, Tintenfischen und Seepferdchen, im Frühjahr werden dort sogar Thunfischschwärme entdeckt, auch Finn- und Pottwale durchstreifen das Gebiet.

Umweltschützer wie Greenpeace-Mitarbeiter Chris-toph von Lieven warnen davor, einen gigantischen Fremdkörper wie die Costa Concordia in dem sensiblen Ökosystem zu entsorgen. Zwar soll das Schweröl inzwischen aus den Tanks des Schiffes herausgepumpt worden sein, doch zum einen klebt mit großer Wahrscheinlichkeit noch vieles davon an Tankwänden und in Rohren, zum anderen befinden sich viele andere Giftstoffe an Bord: „Tausende Liter Reinigungsflüssigkeiten, Hunderte bis Tausende Liter Schmierstoffe“, schätzt von Lieven, „dazu Medikamente von über 4000 Menschen, Anti-Flamm-Mittel aus Holzmöbeln und Teppichen und etliches mehr.“ Die Costa Concordia ist eine Kleinstadt, mit allem, was dazugehört. „Sie enthält Stoffe, die nicht ins Meer gehören, erst recht nicht in ein Meeresschutzgebiet.“

Das Meer ist keine Müllhalde. Daher sollte, was versenkt wird, zunächst einmal an Land geholt werden, fordern Umweltschützer. Ginge es nach ihnen, würden alle Unterwasser-Fremdkörper zunächst akribisch von giftigen Stoffen befreit. Nicht immer wird darauf genau geachtet. So blieben die ölverschmierten Fahrwerke der New Yorker U-Bahn-Waggons zwar an Land, doch enthalten die Waggons giftiges Asbest, das sich im Lauf der Jahrzehnte lösen und ins Meerwasser übergehen kann. Auch über den Flugzeugträger Oriskany gibt es Beschwerden: Für rund 20 Millionen Dollar soll dieser zwar gereinigt worden sein. Doch befanden sich an Bord des Schiffs noch immer Hunderte Tonnen der krebserregenden Polychlorierten Biphenyle (PCB). Noch zwei Jahre nach seinem Untergang wurden erhöhte Mengen des chemischen Weichmachers in Fischen in der Umgebung des Schiffs gemessen.

 

Der weite Weg des Gifts

Taucher merken davon nichts, viele Giftstoffe entfalten ihre Wirkung weit entfernt von ihrer Quelle, etwa, wenn sie als verseuchter Speisefisch auf unseren Tellern landen.

Doch gibt es auch Materialien, die verhindern können, dass sich überhaupt Lebewesen an einem künstlichen Riff ansiedeln. So sei es unklar, gibt Greenpeace-Mann von Lieven zu bedenken, ob die Costa Concordia mit einem Lack bestrichen ist, der das Ansiedeln von Korallen und Muscheln verhindert. Dass es Materialien gibt, die von Fischen als Felsersatz schlichtweg nicht akzeptieren werden, zeigt ein gescheiterter Versuch aus dem Jahr 1972: Rund zwei Millionen Altreifen verklappte man damals vor der Stadt Fort Lauderdale im Süden Floridas. Doch kein Tier, keine Pflanze siedelte sich auf ihnen an, über 30 Jahre lang. Stattdessen lösten sich einige der Reifen aus der Konstruktion, trieben davon und richteten in natürlichen Riffen große Schäden an. 2007 begann man schließlich damit, die Pneus wieder mühsam aus dem Meer zu fischen.

Ein Schiff mit 1500 Kabinen vom Lack zu befreien, alle Möbel und Teppiche zu entfernen und es so akribisch zu reinigen, dass man es ruhigen Gewissens dem Meer überlassen kann, das alles macht die Option „Versenken“ am Ende nicht zur billigsten, sondern zur teuersten Variante. So hat nun die US-Firma Titan Salvage den Auftrag zur Bergung bekommen.

Die Naturschützer vor Giglio können also aufatmen. So schwierig die Bergung des Schiffswracks auch wird, Bergungsexperte Meyer ist zuversichtlich, dass sie gelingt und das Versenken auch als allerletzte Notlösung nicht in Frage kommt: „Wir können zum Mond fliegen. Dann kriegen wir auch die Costa wieder hoch.“  

Da sind auch die Taucher überfragt: Was tun mit der Costa Concordia? Die Bergung ist extrem aufwendig. Könnte man das Schiff stattdessen einfach als natürliches Riff untergehen lassen?

Foto: 123RF

© natur.de – natur Redaktion
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Koi  〈[k–] m. 6; Zool.〉 in Japan gezüchteter bunter Zierkarpfen [jap., ”Karpfen“]

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