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Bioreaktor aus Algen

Urbane Energiegewinnung durch Biomasse

Bioreaktor aus Algen
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Algenhaus_Hamburg
Das BIQ Algenhaus in Hamburg beheizt sich selbst. Genauer gesagt sorgen dafür grüne Einzeller in der Fassade des Gebäudes. Wie das funktioniert, erklärt Projektleiter Dr. Stefan Hindersin von der SSC Strategic Science Consult GmbH im Interview.

Wie funktioniert das genau?

Mit Licht als Energie bauen Algen Biomasse auf. Oder anders gesagt: durch den Prozess der Photosynthese. Der Vorteil von Algen gegenüber Pflanzen auf dem Acker ist, dass sie Einzeller sind. Jede von ihnen betreibt Photosynthese. In unseren Photobioreaktoren an der Fassade bekommen die Algen einen Lichtblitz ab und wandern dann durch den Wasserstrom, den wir durch Luftblasen antreiben, von der Oberfläche weg in den Schattenbereich. Dort können sie die Sonnenenergie in biochemische Energie umwandeln. Dann werden sie wieder ans Licht transportiert, und der Prozess beginnt von vorne. Da sich die Algen an der lichtzugewandten Seite ständig abwechseln, können sehr viele Algen belichtet werden und so das einfallende Licht optimal ausnutzen.

Was braucht man alles für eine funktionierende Bioreaktorfassade?

Für das Wachstum der Algen brauchen wir eine CO2-Quelle. Der Gehalt in der Luft reicht nicht aus, der ist zu gering. Als CO2-Quelle kann Rauchgas aus jedem beliebigen Verbrennungsprozess genutzt werden, also Gasthermen, Heizungskessel oder Blockheizkraftwerke. Am BIQ Algenhaus haben wir zum Beispiel eine Gastherme. Grundsätzlich ist es aber so: Überall da, wo Sonnenlicht und Wasser verfügbar sind, können wir Mikroalgenfassaden betreiben.

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Hat unterschiedlich starke Lichteinstrahlung Einfluss auf die Produktion von Energie und Biomasse?

Ja, das hat es. Das bedeutet für uns auch, dass wir die Zelldichte so anpassen müssen, dass sie zum Wetter passt. Bei sonnigem Wetter mit viel Licht erhöhen wir die Zelldichte, damit möglichst viele Algen für die Lichtausnutzung vorhanden sind. Bei Schwachlicht reduzieren wir die Zelldichte, da dann weniger Algen ausreichen, um das Licht optimal nutzen zu können. Das heißt wir können das – anders als der Landwirt auf dem Acker – immer optimal einstellen. Und weil die Algen so schnell wachsen, lässt sich das von einem auf den anderen Tag ändern.

Wo kommen die Algen her? Werden sie extra gezüchtet?

Nein, es handelt sich um Algen, wie sie in der Natur vorkommen. Für den Einsatz in der Bioreaktorfassade haben wir aber Algen aus Gewässern in und um Hamburg isoliert, die besonders schnell wachsen.

Im Algenhaus sind einige Wohnungen vermietet, andere stehen noch frei. Wie beeinflusst das die Energiegewinnung, wenn das Haus bewohnt ist?

Tatsächlich haben wir hier die besondere Situation, dass die Bioreaktorfassade an einem Wohnhaus angebracht ist, in dem Menschen leben. Aus diesem Grund sind vor den Fenstern auch keine Photobioreaktoren. Inwieweit die Menschen durch die Algenfassade beeinflusst werden und ob sie sich wohl fühlen, untersuchen wir zusammen mit der Hafen City Universität in einem zweijährigen Monitoringprogramm. Auf jeden Fall machen die Bewohner gerne mit und sind interessiert, wie sich die neue Technologie in der Praxis macht.

Müssen sich die Bewohner auch um die Wartung kümmern?

Nein, natürlich nicht. Wir, die SSC GmbH, sind Betreiber der Fassade. Unser
eigentliches Geschäftsfeld ist die Bioverfahrensentwicklung. Mit Mikroalgentechnologie beschäftigen wir uns seit acht Jahren. In dieser Zeit haben wird die notwendigen Verfahren und Anlagen entwickelt, um überhaupt eine Bioreaktorfassade bauen und betreiben zu können. Gegenüber dem Besitzer des Hauses sind wir ein sogenannter Energy Contractor. Das heißt, wir versorgen das Haus mit Wärme.

Ist es denn nötig, dass immer ein Experte vor Ort ist, der den Prozess steuert und kontrolliert?

Unser Ziel ist es, dass letztlich alles automatisch abläuft, so dass wir nur noch zum Abholen der Biomasse vor Ort sein müssen oder zum Einbringen von Dünger. Die übrigen Aufgaben, im wesentlichen Feinjustierungen, werden wir in Zukunft nur noch übers Internet über eine entsprechende Website erledigen. Da sind wir schon sehr nahe daran. Die größte Herausforderung ist allerdings, generell wartungsfreie Anlagen zu installieren. Daran arbeiten wir.

Sie sprechen von Ideen und Herausforderungen – gibt es auch Nachteile?

Ja, ein Nachteil sind noch die Kosten. Unter den jetzigen Marktbedingungen rentiert sich das System noch nicht. Das ist der größte Nachteil. Hinzu kommen noch die Geräuschemissionen. Man hört manchmal die Luftblasen im Bioreaktor aufsteigen, die für eine optimale Durchmischung der Algenkulturen sorgen. Allerdings sagen uns auch viele Bewohner, dass sie das Blubbern als angenehm empfinden. Es höre sich an wie Meeresrauschen.

Ist das Wohnkonzept für die private Nutzung, etwa in Einfamilienhäusern, überhaupt geeignet?

Wir sind gegenwärtig nicht sicher, ob es überhaupt irgendwann mal sinnvoll ist, die Technologie an einem Ein- oder Mehrfamilienhaus einzusetzen. Wir streben kurz- bis mittelfristig an, die Bioreaktorfassade an großen innerstädtischen Fassaden, etwa von Schwimmhallen oder Möbelhäusern zu etablieren.

Was sind Ihre längerfristigen Ziele?

Grundsätzlich sehen wir Bioreaktorfassaden als Ergänzung zur Photovoltaik und Solarthermie. In Bezug auf die Effizienz sind Bioreaktorfassaden schon jetzt konkurrenzfähig. Wie gesagt, die Kosten sind noch zu hoch, auch weil jedes Teil per Hand gefertigt wird. Deshalb rangieren wir momentan in einem Preissegment, in dem die Photovoltaik vor 10 bis 15 Jahren war. Wenn wir es schaffen, die Stückzahl zu steigern, dann würden die Bioreaktorfassaden freilich deutlich günstiger werden. Dazu müssen wir natürlich noch mehr Aufträge akquirieren. Da sind wir aber auf einem guten Weg.

Hoffen Sie, dass irgendwann der große Durchbruch kommt?

Alle, die an der Entstehung und dem Betrieb der Bioreaktorfassade beteiligt sind, wollen natürlich dem Projekt zum Erfolg verhelfen. Ziel ist es ja, innerstädtische Fassaden optisch aufzuwerten und für die Produktion von Wärme sowie Biomasse nutzbar zu machen. Und die Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien geht ja genau dahin: Städte mit hohem Ressourcenverbrauch sollen ihre Ressourcen selbst produzieren.

Das Gespräch führten Jasmin Ziegler und Anna Seipp.

Dr.Stefan-Hindersin---Algenhaus-HH_natur.jpgZur Person:

Dr. Stefan Hindersin hat Biologie studiert und über Algen-Bioverfahrenstechnik promoviert. Seit einem halben Jahr ist er Projektleiter der SSC Strategic Scienec Consult GmbH, die das BIQ Algenhaus auf der Internationalen Bauaustellung in Hamburg betreibt.

Fotos: SSC Hamburg; Jasmin Ziegler

 

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