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Der Einfachheit halber

Nachhaltig leben

Der Einfachheit halber
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Auf Wanderschaft München-Venedig
Der Job wirft genügend Geld ab, um auf großen Fuß zu leben und teuren Hobbys zu frönen. Ein Leben, das keinen Anlass für Veränderungen gibt. Johann Struck und seine Frau haben es trotzdem gemacht – alles hinter sich gelassen und sich ein Jahr auf große Wanderschaft begeben. Blogger Christof Herrmann sprach mit Johann Struck über dessen nachhaltigen Lebenswandel.

S_PostlJohann_4.jpgAls ich im Sommer 2012 auf dem Traumpfad München-Venedig unterwegs war, lernte ich kurz hinter München Johann Struck und seine Frau Nanni kennen. Die beiden hatten sich für ein Jahr auf Wanderschaft begeben. Wir verstanden uns auf Anhieb, trafen uns immer wieder meist zufällig und wanderten zusammen. Das Wasser, die Kraft und die Lust am täglichen Marschieren gingen uns schon mal aus, nur eines nicht: der Gesprächsstoff. Mittlerweile sind Johann und Nanni Struck zurück und wohnen in Rosenheim, wo sie ihre Vorstellung von einem einfachen Leben verwirklichen. Grund genug, Johann zu einem ausführlichen Gespräch zu treffen.

natur: Johann, du und deine Frau Nanni habt euer Leben in überraschend kurzer Zeit umgekrempelt. Wie hat dein Alltag vor eineinhalb Jahren ausgesehen?

Johann Struck: Wir haben tatsächlich unser Leben auf den Kopf gestellt. Vor eineinhalb Jahren hatte ich eine gut laufende Firma, und Nanni hat gerade ihr Studium abgeschlossen, um Lehrerin zu werden. Wir lebten in einer großen Wohnung in der Dortmunder Innenstadt. Ich besaß drei VW Käfer, einen Firmenwagen und einige gut gefüllte Schränke und Kisten mit Kleidung, Erinnerungsstücken usw. Meine Firma war nur ein Ein-Mann-Unternehmen, und so musste ich jeden Tag kräftig arbeiten. Mir hat die Arbeit nie viel Spaß gemacht. Ich wollte aber keine Mitarbeiter einstellen, weil ich wusste, dass wir bald unser Sabbatjahr starten würden. Und so freute ich mich am Ende über jeden vom Kunden abgesagten Auftrag. Ich bin der Arbeit 60 bis 70 Stunden pro Woche nur nachgegangen, um Geld zu verdienen. Erfreulicherweise habe ich nicht alles direkt ausgegeben, sondern viel gespart, um unsere Pause und den Neustart zu finanzieren.

Du hast im Sommer 2012 dein Unternehmen verkauft, und ihr habt eure Wohnung gekündigt, um ein Jahr lang zu reisen.

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Genau so haben wir das gemacht. Viele Leute meinten, das muss man machen, wenn man noch jung ist und nichts aufzugeben hat. Ich habe allerdings eine gut laufende Firma verkauft. Und auch wenn wir kein eigenes Haus hatten, mussten wir etwas aufgegeben. Es hat sich ohne Frage gelohnt. Von dem Geld, das wir auf der Reise ausgegeben haben, hätte ich mir auch einen richtig schönen Oldtimer kaufen können, aber die Erinnerungen und unsere persönliche Entwicklung sind unbezahlbar. Wir sind zu Fuß und per Anhalter durch Europa gereist. Manchmal haben wir auch einen Fernbus, einmal sogar 24 Stunden am Stück von Kroatien nach Dortmund, eine Fähre oder ein Flugzeug benutzt. Die weitesten Strecken haben wir aber per Anhalter zurückgelegt. Wir sind etwa 15.000 Kilometer im Uhrzeigersinn rund um Deutschland getrampt und haben so 17 Länder gesehen. Wen die Tour interessiert, kann gerne die Reiseberichte auf unserem Blog lesen.

Warum seid ihr nicht um die Welt gejettet, wie es andere junge Menschen tun?

Der entscheidende Faktor war, dass ich erstmal Europa kennenlernen wollte. Die große weite Welt kann warten. Eine solche Reise durch Europa hat noch einige andere Vorzüge gegenüber einer Fernreise: Erstens, wir brauchten nie an einem Grenzübergang warten, geschweige denn ein Visum beantragen. Zweitens, wir mussten keine Angst vor Krankheiten haben, gegen die wir als Europäer nicht resistent sind. Und drittens, die Wege waren nicht so weit von Land zu Land und Stadt zu Stadt. Ganz Europa ist nur etwa so groß wie Kanada.

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Wir haben uns ja auf dem Traumpfad München-Venedig kennengelernt und sind tagelang zusammen gewandert. Wie habt ihr das Abenteuer Alpenüberquerung empfunden?

Es war ein absolutes Highlight unserer Reise. Allein die Vorstellung den ganzen Weg zu Fuß gegangen zu sein, ist im Nachhinein beeindruckend. Die Atmosphäre der Wanderung und insbesondere die Menschen, die wir kennengelernt haben, waren wirklich toll. Du hast ja schon ausführlich in Deinem kostenlosen E-Book darüber berichtet, so dass ich gar nicht so viel ergänzen kann.

Ich staunte nicht schlecht, wie klein Eure Rucksäcke waren, die sozusagen einen kompletten Haushalt enthielten.

Wir hatten ein Haus mit Schlafzimmer, Kleiderschrank und Küche dabei sowie alles, was man sonst zum Leben braucht, etwa ein paar Parfümpröbchen, um auch mal ausgehen zu können. Unsere Rucksäcke haben mit Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher usw. jeweils unter zehn Kilogramm gewogen. Nur Wasser und Lebensmittel kamen gegebenenfalls dazu. So leicht kann man natürlich nur reisen, wenn man sich stark reduziert und in eine hochwertige Ausrüstung investiert. Aber diese Investition merkt man eben bei jedem Schritt, den man macht.

Hat euch manchmal auch etwas gefehlt?

Es hat uns tatsächlich eine Sache gefehlt: Ein Kühlschrank. Sonst nichts. Wir haben auf der Reise häufig im Supermarkt eingekauft und mussten die Kühlwaren sehr schnell essen. Aber ansonsten kamen wir hervorragend mit den wenigen Dingen zurecht, die wir dabei hatten. Das hat sich im Übrigen auf unseren jetzigen Lebensstil ausgewirkt.

Nach eurer Auszeit seid ihr vor ein paar Monaten nach Rosenheim gezogen. Wie lebt Ihr jetzt?

Wir sind in eine WG gezogen und haben dort zwei Zimmer gemietet. Das hat den Vorteil, dass wir nicht so viel putzen müssen wie früher. Wir haben auch unser gesamtes Hab und Gut reduziert, was aber auch nicht schlimm ist, weil man weniger Dinge hat, um die man sich kümmern muss. Das Allerbeste ist aber, dass wir nun zu einem bezahlbaren Preis eine Wohnung mit Garten und Terrasse haben, was wir uns sonst nicht geleistet hätten. Auch meine geliebten VW Käfer habe ich verkauft, bis auf den einen, in dem ich mit Nanni zusammen gekommen bin. Der steht leider etwas verrostet in einer Scheune in Nordrhein-Westfalen. Wir sind also jetzt vollkommen autofrei. Das schränkt uns eigentlich nicht ein, weil wir hier in Rosenheim alles mit dem Radl erledigen können. Weitere Strecken fahren wir mit dem Zug.

Gibt es auch Nachteile, minimalistisch zu leben?

Man findet immer Gründe, warum es eine Einschränkung ist, weniger zu besitzen oder in einer WG zu wohnen. Aber uns macht es nichts aus, die Küche und das Bad mit unseren Mitbewohnern zu teilen. Auch das autofreie Leben würden sicherlich viele Menschen als Nachteil ansehen, wir aber nicht.

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Auch ein Minimalist kann nicht von Luft und Liebe leben. Was macht Ihr jetzt beruflich?

Nanni macht ihr Referendariat an einer Schule in München. Mir war schon vor der Reise klar, dass ich mich wieder selbstständig machen würde. Unterwegs konnte ich mich viel mit mir selbst beschäftigen und Ideen und Eindrücke sammeln. Dann habe ich mich zu dem entschieden, was mich aller Voraussicht nach am glücklichsten machen wird. Ich habe den Fahrradkurierdienst PostlJohann gegründet. Getreu dem Motto: „Mach das, was du machen würdest, wenn du reich wärst!“

Macht dich die neue Tätigkeit glücklich?

Ja, meine Arbeit macht mir Spaß. Das ist wohl die entscheidendste Änderung zu meiner alten Selbstständigkeit. Auch arbeite ich jetzt nicht mehr so viel wie früher, mache dafür mehr Sport in meiner Freizeit. Und ich lerne gerade eine Menge neuer Dinge, wie zum Beispiel Kraulschwimmen. Das ist zwar nicht so schön wie wandern oder Fahrrad fahren, aber eine tolle Abwechslung.

Wie verliefen die ersten Wochen als PostlJohann?

Gut. Ich habe schon einen sehr hohen Bekanntheitsgrad in der Stadt und treffe immer wieder Menschen, die mich grüßen oder unbekannterweise ansprechen. Ein Passant war fest davon überzeugt, im Fernsehen einen Bericht über mich gesehen zu haben. Es stellte sich heraus, dass er von mir in der Zeitung gelesen hat. Ich habe auch schon ein paar Kunden, für die ich immer mal wieder fahre. So habe ich in Zusammenarbeit mit einem vegan-vegetarischen Restaurant einen Lieferservice ausgetestet. Bin schon gespannt, wie das angenommen wird.

Stichwort vegan: Als ich dich letztes Jahr kennenlernte, lag abends öfter ein Schnitzel auf deinem Teller. Ein paar Wochen später hast du geschrieben, dass ihr nun auch Vegetarier seid. Und mittlerweile bist du ganz auf eine pflanzliche Ernährung umgestiegen. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

Einen großen Einfluss auf unser Vegetarier-Dasein hatten unsere Gespräche auf dem Weg nach Venedig. Unser Motiv ist die Nachhaltigkeit. Um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren, benötigt man bis zu 16 Kilogramm Getreide oder Sojabohnen und mehrere tausend Liter Wasser. Da ist es doch viel schlauer, das Getreide und die Bohnen selbst zu essen. Nachdem wir zuhause nie mit Fleisch gekocht haben, fiel uns der Umstieg recht leicht. Seit fast zwei Monaten bin ich nun Veganer. Ich wollte einfach mal ausprobieren, was passiert, wenn ich mich rein pflanzlich ernährt.

Wie fühlst Du Dich dabei?

Ich wollte die vegane Ernährung zwei Monate ausprobieren. Die zwei Monate sind jetzt fast vorbei. Physische Veränderungen habe ich noch nicht bemerkt. Aber ich finde die Lebenseinstellung trotzdem so gut, dass ich dabei bleibe. Ich komme sehr gut ohne Milch, Käse und Eier aus. Und es macht mir Spaß, meine eigenen veganen Brotaufstriche zu machen.

Kannst du dir im nächsten Jahr ein paar Tage frei nehmen oder lässt das PostlJohann erst mal nicht zu?

Auch das ist eine Frage des Wollens. Ich hoffe, dass ich im Frühjahr einen Mitarbeiter einstellen kann. Dann wäre es kein Problem, eine Woche Urlaub zu machen.

 

Christof_Herrmann_150.jpgDas Gespräch führte Christof Herrmann. Auf seiner Seite Einfach bewusst bloggt er über Minimalismus sowie Nachhaltigkeit im Alltag und auf Reisen. Er hat einen kostenlosen E-Book-Wanderführer „Forchheim – München – Venedig: Zu Fuß nach Südbayern & über die Alpen ans Mittelmeer“ geschrieben.

Fotos: Christof Herrmann; Johann Struck; Werner Kaminsky

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