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„Der Mensch hat das Problem geschaffen“

Hochwasser - Schutz und Risiko im Rhein-Main-Gebiet

„Der Mensch hat das Problem geschaffen“
Hochwasser
Hochwasser
Mit steigender Erderwärmung werden sich Hochwasserereignisse häufen. Das klingt plausibel, aber ganz so einfach ist es nicht. Dass ein hoher Flusspegel zur Gefahr wird, hängt mit der Siedlungsgeschichte des Menschen zusammen – und seiner Sicht auf die Unwägbarkeiten der Natur, sagt eine Risikoingenieurin.

Hochwasser

natur: Wie sehr hat der Klimawandel die Flusssysteme von Main und Rhein bisher verändert?

Sandra Pennekamp: Den Klimawandel spürt man an Rhein und Main nicht. Zumindest die Hauptflüsse führen nicht plötzlich Unmengen an Wasser. Vielleicht nehmen an manchen Nebenflüssen die Starkregenereignisse zu – wobei man hier auch überlegen muss, ob sie tatsächlich zunehmen oder ob nur häufiger darüber berichtet wird. Vielleicht haben die Menschen es früher einfach nicht so wahrgenommen. Diese Starkregenereignisse sind aber unabhängig vom Flusssystem.

Kann man gegen die Auswirkungen dieser Starkregen etwas tun?

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Das größte Problem ist, dass es bisher kaum Modelle gibt, mit denen man solche Starkregen simulieren kann. Die Auswirkungen können von Kommune zu Kommune unterschiedlich sein, da spielt unter anderem auch das Abwassersystem vor Ort eine Rolle.

Klimawandel und die Zunahme von Hochwassern hängen also nicht per se zusammen?

Ja. Hochwasser an Rhein, Main und anderen Flüssen gab es immer und wird es immer geben. Durch den Klimawandel ändern sich aber Niederschlagsmenge und Niederschlagsverteilung in Sommer und Winter. Das kann dann dazu führen, dass es in manchen Regionen in Zukunft häufiger zu Hochwassern kommt. Die Auswirkungen von Hochwassern sind natürlich unterschiedlich und haben sich auch verändert. In der Vergangenheit hat man die Auengebiete häufig unbesiedelt gelassen – bis man dazu übergegangen ist, den Fluss zu regulieren und einzudeichen, um die Gebiete für den Menschen nutzbar zu machen. Dadurch ist der Schaden bei Hochwassern natürlich höher.

Verschärft der Mensch demnach das Problem?

Das ganze Problem ist vom Menschen geschaffen, ein Hochwasserrisiko existiert nur aus seiner Sicht. Die Natur ist daran angepasst, weil jeder Fluss Phasen mit und ohne Hochwasser hat.

Ist es eine Altlast der Siedlungsgeschichte – je mehr Siedlungen, desto mehr Gefahrenzonen, desto mehr Hochwasserschutz ist nötig?

Entweder mehr Hochwasserschutz – das hat man ja in der Vergangenheit in Form von Deichanlagen gemacht – oder eben die Anpassung an das Risiko. Das Risiko kennen, es annehmen und lernen, damit umzugehen, da stehen wir erst am Anfang. Denn wir können die Deiche am Rhein nicht alle 50 Jahre noch höher bauen.

 

Pennekamp

 

Dr. Ing. Sandra Pennekamp

arbeitet im Planungsbüro Infrastruktur und Umwelt Professor Böhm und Partner in Darmstadt.

Dort jongliert sie mit vielen Daten, um das Hochwasserrisiko verschiedener Regionen zu berechnen. Zuletzt hat sie sich mit dem hessischen Ried beschäftigt und an den Gefahrenkarten für das Gebiet mitgearbeitet.

 

 

 

Risiko ist ein abstrakter Begriff. Wie bringt man Anwohnern das näher?

Für viele Gebiete sind Gefahrenkarten veröffentlicht. Jeder kann im Internet nachschauen, ob sein Grundstück in einem gefährdeten Gebiet liegt. Die Behörden haben die Aufgabe, das bekannt zu machen. Und um Angst zu vermeiden, ist es wichtig, den Menschen zu erklären, wie sie mit der Gefahr umgehen können. Wichtig ist aber auch: Zunächst ist jeder für seinen Schutz selbst verantwortlich. Erst wenn die Kosten dem Einzelnen nicht mehr zumutbar sind, finanziert der Staat die Maßnahmen.

Wo wird Ihre eigene Arbeit schwierig?

Schwierig ist es, ein Hochwasserrisiko an Kommunen und Betroffene zu vermitteln. Oft begegnet man einer gewissen Ungläubigkeit bis hin zur Ablehnung. Wenn nach den Modellen nun ein Gebiet im Wasser steht, fragen die Menschen, woher denn da auf einmal das Wasser kommt. Das ist schwer in die Köpfe zu bekommen. Es darf nicht sein, was nicht sein soll.

Bei einem Hochwasser entstehen hohe Kosten. Beim Elbe-Hochwasser half deshalb der Staat den Opfern. Sollten wir daran festhalten?

Das ist eine Frage, die in Deutschland derzeit wieder diskutiert wird: Soll man eine Versicherung für Hochwasserschäden als Pflicht für alle einführen, soll das Solidarprinzip auch in diesem Bereich gelten? Momentan ist es so, dass jeder selbst entscheidet, ob er sich versichern möchte oder nicht. Dabei gibt es ein Zonensystem der Versicherungen, das sich nach den Gefahrenkarten richtet. Es gibt bestimmte Siedlungsgebiete, die von der Versicherung ausgenommen sind: Jemand, der in einem Gebiet wohnt, in dem es alle fünf Jahre zu einem Hochwasser kommt, ist nicht versicherbar.

Welche wirtschaftlichen Folgen hat ein Hochwasser?

Wenn an Rhein und Main wirklich die Deiche brächen, hätte das erhebliche Folgen. Viele Industriegebiete liegen in Flussnähe und viele Verkehrswege würden zerstört. Wenn einzelne Betriebe in einer Lieferkette ausfallen, leiden auch Firmen, die gar nicht direkt vom Hochwasser betroffen sind. Fällt ein Zulieferer aus dem Rhein-Main-Gebiet aus, suchen sich seine Kunden vielleicht einen neuen. Ob der Zulieferer nach dem Wiederaufbau dann im alten Umfang produzieren kann, ist fraglich. Dadurch kann die regionale Wirtschaft für lange Zeit geschwächt werden.

Wie kann sich eine große Stadt wie Frankfurt auf ein Hochwasser vorbereiten?

Es gab zwar schon lange kein extremes Hochwasser mehr, aber gerade in Frankfurt kommt es immer wieder zu kleineren Hochwassern, bei denen zum Beispiel einzelne Straßen gesperrt sind. Kommunen und Landkreise haben entsprechende Katastrophenpläne, die festlegen, wer wann alarmiert wird und welche Maßnahmen ergriffen werden. Je höher der Pegel steigt, desto mehr Menschen sind betroffen und desto höhere Institutionen sind zuständig.

Gibt es Erhebungen, ob sich die Flusssysteme in Zukunft ändern werden?

Nein, für die aktuellen Pläne ist die Vergangenheit viel entscheidender. Auf Basis vergangener Ereignisse wird ein hydrologisches Modell erstellt. Mit diesem kann man ermitteln, welche Flächen potenziell von einem Hochwasser betroffen sind, wenn etwa ein Deich nicht mehr hält. Zwar gibt es das Thema Klimawandel auch im Hochwasserrisikomanagement, beispielsweise wertet man verschiedene Klimamodelle aus und versucht, die Niederschlagsveränderungen in die Modelle einzubeziehen. Aber wir können nicht einfach in die Zukunft hochrechnen. An der Küste ist das anders, hier wird ganz konkret mit verschiedenen Zentimeterbeträgen im Meeresspiegelanstieg gerechnet, um Prognosen zu machen. Aber im Binnenland gibt es das so nicht.

Gibt es Schutzmaßnahmen, die nicht funktioniert haben?

Alles beruht auf Annahmen. Im Extremfall weiß man nicht, ob die Gebiete so geschützt sind, wie es vorher berechnet wurde. Da kann es vorkommen, dass Maßnahmen nicht wirken wie erhofft. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, wie wichtig die Aufklärung der Bürger ist: Beim Rheinhochwasser 1993 sind hohe Schäden entstanden, beim Hochwasser zwei Jahre später haben die Menschen besser reagiert. Der Schaden war viel geringer, obwohl das Hochwasser schlimmer war.

Ist es sinnvoll, den Klimawandel regional anzugehen?

Auf jeden Fall, alle regionalen Anpassungen an den Klimawandel sind sinnvoll. Wir können nicht ein deutschlandweites Klimamodell nehmen und daraus Maßnahmen für jede einzelne Region ableiten. In manchen Gebieten Deutschlands wird es heißer und trockener werden, in anderen dagegen gibt es häufiger schwüle Tage. Der Klimawandel wirkt sich auf jede Region ganz unterschiedlich aus.

Das Gespräch führten Anne Bäurle und Kerstin Pasemann von mainrheinesklima.com.


mainrheineskllima-logo.jpg„Main Rheines Klima“
sind 15 junge Menschen, neugierige Wissenschaftsjournalisten, die das flüchtige Thema Klimawandel ein Semester lang aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Sie fragen nach, wie sich unser Lebensraum, das Rhein-Main-Gebiet, in den nächsten Jahren wandelt – mit einem ziemlich flauen Gefühl im Magen. Denn noch ist ungewiss, wie und wie sehr sich dieser Lebensraum verändern könnte.

Das Interview ist ursprünglich auf mainrheinesklima.com erschienen.

Fotos: fotolia.com/Thaut Images; Alisa Fraefel (Porträt)

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