Möwen sind enorm anpassungsfähige Vögel, wie jeder weiß, der schon einmal an Nord- oder Ostsee unterwegs war. Sie fressen nahezu alles, was ihnen vor den Schnabel kommt – vom Regenwurm über Krebse bis zu kleinen Fischen – und scheuen auch nicht davor zurück, auf Mülldeponien nach Nahrung zu stochern oder anderen Vögeln ihre Beute abzujagen. An der Odermündung bei Stettin haben Dominik Marchowski und seine Kollegen nun erstmals ein weiteres Beispiel für die raffinierten Strategien dieser Vögel entdeckt.
Wenn die Möwen kreisen
Eigentlich wollten die Biologen das Verhalten der Enten beobachten, die im Stettiner Haff überwintern. Die Tafelenten, Reiherenten und Bergenten tauchen im flachen Brackwasser der Odermündung nach Zebramuscheln und bringen ganze Klumpen dieser Muscheln an die Wasseroberfläche. Dort zerlegen sie die Klumpen, knacken die Muscheln und tun sich an deren Fleisch gütlich.
Bei ihren Beobachtungen fiel den Forschern jedoch etwas auf: Immer dann, wenn ein Entenschwarm nach Muscheln tauchte, hielten sich besonders viele Herings- und Sturmmöwen in unmittelbarer Nähe der Enten auf. Je mehr Enten nach Futter suchten, desto mehr Möwen kreisten über ihnen. Bloßer Zufall? Bei den schlauen Vögeln wohl kaum. Marchowski und seine Kollegen gingen der Sache daher nach.
Ausgenutzte Muscheltaucher
Und tatsächlich: Wie sie feststellten, wusste die Möwen offenbar genau, dass tauchende Enten für sie den Tisch decken. Denn sobald die Enten mit ihren Muschelklumpen auftauchten, rückten ihnen die Möwen auf den Pelz – oder besser gesagt das Gefieder. Je nach Situation mopsten sie dann entweder Muschelstückchen, die beim Mahl der Enten herunterfielen oder aber sie wurden ganz rabiat und klauten den Enten die Muscheln unter dem Schnabel weg – Biologen sprechen bei diesem Verhalten von Kleptoparasitismus.
Der große Vorteil dabei: Dank der Enten gelangen die Möwen gerade im eher kargen Winter an Nahrungsressourcen, die sie selbst nicht erreichen können. Denn die Zebramuscheln wachsen zu tief für ihre eher mageren Tauchkünste. Wie wichtig die Enten als Futterbeschaffer für die Möwen sind, stellten die Biologen bei der Analyse von Kotproben fest: Sobald die überwinternden Enten im Stettiner Haff eingetroffen waren, veränderte sich das Nahrungsspektrum der Möwen dramatisch. Von nun an dominierten Muscheln ihren Speiseplan.
„Dies liefert überzeugende Belege dafür, wie artübergreifende Nahrungsbeziehungen zwischen den Möwen und tauchenden Enten die Vogelgesellschaft in diesem Teil der Ostsee beeinflussen“, kommentiert Timothy White von der US-Meeresforschungsbehörde NOAA.
Quelle: The Auk: Ornithological Advances