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Goldrausch in den Karpaten gestoppt

Erfolgreicher Protest gegen Europas größte Goldmine

Goldrausch in den Karpaten gestoppt
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Erfolgreicher Protest gegen Europas größte Goldmine
Der Goldpreis ist so hoch wie lange nicht. Das verschärfte den Streit um den Bau der größten Goldmine Europas. Denn der kanadische Minenbetreiber hatte geplant, bei der Förderung des Edelmetalls auch das Gift Zyanid einzusetzen. Nun hat die Regierung den Bau nach wochenlangen Protesten endlich gestoppt.

ReneZieger_mittel.jpgMinisterpräsident Ponta erklärte gerade in Bukarest, das Parlament werde dem Projekt „Rosia Montana“ nicht zustimmen. Man wolle nun nach anderen Wegen suchen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Tausende Menschen waren in Rumänien auf die Straße gegangen, um vor drohender Umweltzerstörung und den Gefahren für die Gesundheit zu warnen.

Im März hatte Autor Philipp Lichterbeck für natur recherchiert wie der Streit um das Gold zwei Brüder, ein Dorf, ja ganz Rumänien entzweite:

Andrei Gruber umkrampft sein Bierglas und schweigt minutenlang. Er sitzt in einer Kneipe am Dorfplatz in Rosia Montana in den Westkarpaten und beobachtet, wie sein älterer Bruder Christian den Bus besteigt, um ins neun Stunden entfernte Bukarest zu fahren. Christian wird dort mit Hunderten von Männern für die Genehmigung der größten Goldmine Europas demonstrieren – gegen die Andrei seit Jahren verbissen kämpft. Die Brüder würdigen sich keines Blickes.

Als Christian in der folgenden Nacht aus Bukarest zurückkehrt, schleicht er sich ins gemeinsame Haus und schläft lange in den Tag hinein. „Sie haben mich gezwungen, mitzufahren“, rechtfertigt er sich, als er wieder auf ist. „Man kann nicht in zwei Booten zugleich sitzen“, entgegnet sein Bruder Andrei, der Widerständler. „Man hat nur einen Hintern.“ Viel mehr haben die Gruber-Brüder sich nicht zu sagen. Der Streit um das Gold von Rosia Montana hat sie entzweit. So wie er ihr Dorf und das ganze Land
zerrissen hat. Soll das Gold geborgen werden oder nicht? Und welchen Preis sind die Rumänen bereit, dafür zu zahlen? Das fragen sie sich seit 15 Jahren – aber vor allem seit der Goldpreis in der Finanzkrise hoch-geschossen ist.

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Rosia Montana liegt auf dem größten Schatz des Kontinents: 300 Tonnen Gold und 1600 Tonnen Silber. Sein Wert wird auf 15 bis 20 Milliarden US- Dollar taxiert. Die Schürfrechte hält die Rosia Montana Gold Corporation (RMGC), ein internationaler Konzern, vorwiegend in kanadischer Hand. Um den Schatz zu bergen, soll ein großflächiger Tagebau errichtet werden. Am Ende würde nur noch der kleine historische Dorfkern übrig bleiben.

Bis heute zögern die Regierungen in der Hauptstadt eine Entscheidung hinaus. Der seit Mai 2012 amtierende Ministerpräsident Victor Ponta will noch einmal „alles ganz genau prüfen“. Seine Regierung weiß, dass Rosia Montana ein Präzedenzfall ist. Große Minenkonzerne wollen die goldreichen Westkarpaten auch an anderen Orten ausbeuten. In Rosia Montana entscheidet sich das Schicksal der Karpaten.

 

Die Angst sitzt tief

Die Angst der Rumänen sitzt tief. Sie fürchten sich vor allem vor Zyanid, das beim Abbau verwendet wird, und denken an Baia Mare, jenen Ort im Nordwesten Rumäniens, wo im Jahr 2000 ein Zyanidauffangbecken barst. 100  000 Kubikmeter verseuchtes Wasser flossen in Theiß und Donau. Millionen Fische verendeten, das Trinkwasser von Zehntausenden war gefährdet. Baia Mare gilt nach Tschernobyl als zweitgrößte Umweltkatastrophe Europas. Im Dorfladen hängt ein Poster: Es zeigt das goldglänzende Projektil einer Kalaschnikow. „Jeder Rumäne wird ein Stück Gold aus Rosia Montana erhalten“, steht darüber.

Das Dorf, das von Deutschen einst Goldbach genannt wurde, liegt auf 800 Metern Höhe, am Ende eines Tals inmitten einer der urigsten Landschaften Europas. Die Straße dorthin führt durch Laubwälder, vorbei an Imkerkästen, Gemüseäckern und Schafweiden. Dazwischen ragen die Ruinen der Industriebetriebe aus der Ceausescu-Ära auf. Dann geht es in ein Seitental und nach einem Anstieg erreicht man kurz vor dem Dorfkern das Haus der Grubers. Es steht direkt neben der Straße, auf der einmal 70  000 Tonnen Abraum täglich transportiert werden sollen. Um die Straße zu verbreitern, möchte die RMGC das Grundstück kaufen. „Unterhändler haben mich gefragt, ob ich mir kein neues Auto leisten wolle“, berichtet Andrei. Er habe sie ausgelacht. Viel zu verwachsen ist er mit der Gegend. Er sagt: „Mein Dorf, meine Berge, meine Heimat.“

Andrei war zwölf Jahre alt, als die Manager der RMGC 1997 mit ihren Geländewagen in sein Heimatdorf einfuhren. Damals begann der Junge heimlich, die uralten Minenschächte zu erkunden, die es rund um den Ort gibt. Schon die Römer hatten hier im zweiten Jahrhundert nach Christus erste Stollen in die Hügel getrieben. Später suchten die Habsburger nach dem Edelmetall. Auch die Familie Gruber war Ende des 19. Jahrhunderts des Goldes wegen nach Rosia Montana gekommen. Die Erkundung der Schächte war für Andrei die Fortsetzung der Familientradition, und irgendwann ging er heimlich mit Hammer, Meißel und Grubenlampe seines Vaters los und bearbeitete die Felsen auf der Suche nach Gold.

Dann erwarb die RMGC die Konzession für Probe-bohrungen. Die Manager erklärten unverblümt: Um an das Gold zu gelangen, müssten sie vier Berge sprengen; sie in Löcher verwandeln. Das sporadisch vorkommende Edelmetall – 1,5 Gramm pro Tonne Erdreich – wolle man mit Zyanid aus dem Erdreich lösen. 2000 Menschen müsse man umsiedeln. Aber jeder würde entschädigt, versprachen sie. Zudem werde man Hunderte Jobs schaffen. Straßen bauen, den Dorfkern restaurieren, den Staat mit Steuern in Milliardenhöhe beglücken und anschließend die Landschaft renaturieren. Eine von Armut und Arbeitslosigkeit betroffene Region hätte wieder eine Chance.

 

Die Spaltung

Die eine Hälfte der Bewohner Rosia Montanas ergriff die Chance. Viele verkauften ihre Wohnungen und Grundstücke für bis zu 150  000 US-Dollar und zogen in neue Häuser, die von der Minengesellschaft im Flachland am Rande der Provinzstadt Alba Iulia gebaut wurden. Die andere Hälfte der Dorfbewohner forderte: „Salvati Rosia Montana! – Rettet Rosia Montana!“ Tausend Familien schlossen sich in der Widerstandsgruppe Alburnus Maior zusammen und sagten: Unser Land bekommt ihr nicht. Alburnus Maior, benannt nach dem alten römischen Namen ihres Dorfes, hat die RMGC Dutzende Male verklagt. Oft mit Erfolg.

„Ich bin ein Kind des Widerstands“, sagt Andrei, der mit seiner Freundin Ani in der verqualmten Küche des Gruber-Hauses sitzt. Vor ihm steht ein Laptop, er steckt sich eine Filterzigarette an. Die langen Haare trägt Andrei zum Pferdeschwanz gebunden, sein Vollbart ist fransig. Unter seinem Blaumann erkennt man einen Pulli der Rockgruppe Bon Jovi. Andrei blinzelt unsicher in die Runde, der 27-Jährige spricht kein Englisch; seine Freundin muss übersetzen. Er sagt: „Der Konflikt hat aus mir gemacht, was ich heute bin.“

Andrei stieß mit 18 Jahren zu Alburnus Maior. „Manchmal spürt man instinktiv, wenn etwas falsch ist“, begründet er den Schritt. Kurz nach seinem Beitritt kappten Unbekannte ihm und anderen Widerständlern den Strom und das Telefon. Heute würden solche Methoden nicht mehr angewandt. Dennoch werde Druck ausgeübt. Wie bestellt stehen am Tag nach unserer Ankunft zwei Polizisten vor der Tür und fragen, wer der ausländische Besuch sei.

In einem Flügel seines Hauses betreibt Andrei eine Herberge, von deren Einnahmen er gut leben kann. Jeden Sommer kommen Jugendliche aus ganz Europa, protestieren mit Plakaten gegen die Mine und tanzen abends barfuß auf dem Dorfplatz. In einem der Zimmer im Haus legt Andrei derzeit Estrich aus.

Christian hilft nicht mit. Er sitzt im Informationsbüro der RMGC am Dorfplatz und langweilt sich. An den Wänden des Raums hängen große Schautafeln, auf denen zu sehen ist, wie die Landschaft in den 18 Jahren des geplanten Minenbetriebs aufgerissen, zugeschüttet und wiederbegrünt werden soll. Hostessen in Hosenanzügen drücken jedem Besucher die Gratiszeitung der RMGC in die Hand, in der die Minengegner als weltfremd beschrieben werden. Christian ist verantwortlich für die Software in den zwei RMGC-Büros im Dorf und wird gerufen, wenn Computer-
programme abstürzen. Er arbeitet seit sechs Jahren für das Unternehmen, „doch die Arbeit unterfordert mich“, sagt er, „es gibt nicht viel zu tun“.

 

Welche Wahl bleibt?

Als Christian am Abend nach Hause kommt, grillen Andrei und seine Freundin im Garten. Dana stößt dazu, Christians Freundin. So sitzen die zwei Brüder mit ihren Freundinnen im letzten Tageslicht, kauen stoisch Fleisch, trinken Bier und sagen kein Wort.

Erst nach einigen Schlucken meint Christian, dass er seinen Job hasse und bei der RMGC sowieso niemand wüsste, wie man eine Mine betreibt. „Die ganze Situation ist ein großer Scheiß!“ Es scheint, dass Christian es ehrlich meint. Und doch klingt er wie ein Pazifist, der sich zur Armee gemeldet hat, weil er glaubt, dass kein Krieg kommt.

Andrei sagt nichts. Schon oft hat Christian angekündigt, dass er die RMGC verlassen werde und es natürlich nicht getan. „Man muss Konsequenzen aus seinen Überzeugungen ziehen“, meint Andrei, der Minengegner. Christian erwidert: „Aber man muss auch Geld verdienen.“

So wie Christian Gruber geht es vielen in Rosia Montana. Sie mögen das Minenprojekt nicht, aber welche Wahl haben sie in einer Region, in der vier von fünf Menschen arbeitslos sind? Christian verdient heute 350 Euro im Monat – ein Durchschnittslohn. In den Westkarpaten ist das viel Geld. Die Region wurde
Anfang der 90er Jahre hart getroffen, als die Chemiebetriebe in den Tälern schlossen. Aus den Fenstern der Plattenbauten blasen nun die ehemaligen Arbeiter resigniert den Rauch ihrer Zigaretten. Wer in eine größere Stadt will, muss trampen.

 

Gift gegen Jobs

Man kann also ermessen, was es für die Region bedeutet, dass die RMGC in Rosia Montana jetzt schon fast 500 Menschen Arbeit gibt. Die meisten sind frü-here Minenarbeiter. Sie waren in der staatlichen Goldmine oberhalb des Ortes angestellt, die 2006 dicht machen musste. Eine mondlandschaftsartige Grube ist von ihr noch übrig. Wenn es regnet, werden Cadmium, Arsen, Zink und Eisen in die Bäche der Gegend gespült, die gelbrötlich ins Tal plätschern. Man witzelt, dass der Dorfbach von Rosia Montana den PH-Wert einer Autobatterie habe.

Mit der toxischen Chemikalie Zyanid will die RMGC das Gold nun aus dem Erdreich lösen und die entstehenden 215 Millionen Tonnen Giftschlacke ins benachbarte Corna-Tal kippen. Dieses soll mit einem 185 Meter hohen Damm gesichert werden – fast dreißig Meter höher als der Kölner Dom. „Die Wahrscheinlichkeit, dass der Damm bricht, ist sehr niedrig (eins in einer Millionen Jahre)“, schreibt die RMGC in einem Presseheft. Sie war erleichtert als die EU-Kommission 2010 ein Verbot von Zyanid im Bergbau verwarf. Es hätte das Aus bedeutet.

Die Antwort der RMGC auf diese Furcht ist eine Kampagne, bei der Geld keine Rolle zu spielen scheint. Catalin Hosu saugt an einer Zigarette und sagt: „Wir sind unseren Kritikern dankbar. Sie haben uns auf unsere Schwächen hingewiesen.“ Er ist der PR-Chef der RMGC und leitet eine Besichtigungstour. Sie führt an einer Pilotanlage zur Reinigung des Dorfbachs vorbei, zu historischen Häusern aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie zu einem antiken römischen Stollen. Alles soll erhalten und restauriert werden. Ferner sponsert das Unternehmen einige Fußballvereine (ihr Slogan lautet: „Ihr könnt ein goldenes Team sein!“). 25 Millionen US-Dollar hat die RMGC allein für Werbung ausgegeben; kritische Berichte sind aus den rumänischen Medien verschwunden.

Hosu präsentiert triumphierend einige Zahlen: Man werde 900 Jobs während der Ausbeutungsphase schaffen. Zwei Milliarden US-Dollar würde man investieren, alles sei durchdacht und umweltfreundlich.

Die Zerstörung der Landschaft? – Minimal.

Das Zyanid? – Kommt auch in Kaffee vor.

Umsiedler? – Erhalten neue Häuser.

Und diejenigen, die nicht gehen wollen? – Das Problem wird sich erledigen.

Bisher hat die RMGC 550 Millionen Dollar investiert, ohne ein einziges Gramm Gold zu fördern. 85 Prozent der benötigten Grundstücke gehören ihr schon. Die Häuser, die die RMGC erwirbt, lässt sie abreißen. So kommt es, dass das Haus der Gruber-Brüder von Brachen umgeben ist. „Der Druck auf die Uneinsichtigen wird groß werden“, sagt Catalin Hosu.

Als Eugene David das hört, bricht er in Gelächter aus. Er steht in seiner Scheune und kippt vergorene Pflaumen in einen großen Kessel, unter dem ein Feuer lodert. „Tuica“, sagt David, „doppelte Destillation.“ Der 47-Jährige besitzt den größten Hof in Rosia Montana – auf die Frage, wo sein Land liege, zeigt er in alle vier Himmelsrichtungen. Und er denkt nicht daran, es der RMGC zu überlassen, die ihm 200  000 Euro dafür geboten haben soll.

David ist der Präsident von Alburnus Maior. Früher hat er selbst als Ingenieur im Kupfertagebau gearbeitet. Heute widmet er sich der Landwirtschaft. Mit dem Pferdepflug durchquert er Kartoffeläcker. Wann immer es nötig ist, reist David nach Bukarest und spricht auf Demonstrationen. Journalisten lieben ihn für seine Sprache. Dem Präsidenten hat er gesagt, dass dieser die Armee schicken müsse, um ihn zu vertreiben.

Davids Alternative für Rosia Montana: Öko-Tourismus – und die vage Hoffnung, dass der Ort als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt wird. Er betreibt ein rustikales Hostel in seinem Haus und verbreitet unverdrossen Optimismus: „Zurzeit ist Rosia Montana ausgezogen, aber wir werden es wieder aufbauen, wenn das hier vorbei ist.“ Wann das sein wird, weiß niemand.

„Sie haben Uhren, aber wir haben Zeit“, meint Andrei Gruber, der Widerständler. Sein Bruder Christian sagt vieldeutig: „Ich habe nicht so viel Zeit.“

Foto: René Zieger

© natur.de – natur Redaktion
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