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„Heißer als die Sonne, Mann!“

Interview mit einem ewig Morgigen.

„Heißer als die Sonne, Mann!“
Bonjour Monsieur ITER. Na, stockt mal wieder alles auf der Baustelle? Wovon reden Sie? Es geht voran, ich bin voll im Plan. Die Zeitungen sehen das etwas anders: „Geldschmelze im Forschungsreaktor“, „Das einzig Zuverlässige ist die Verzögerung“, und so fort. Pah! Was soll das sein?

Die Zeitungen sehen das etwas anders: „Geldschmelze im Forschungsreaktor“, „Das einzig Zuverlässige ist die Verzögerung“, und so fort.

Pah! Was soll das sein? Gedruckte Schlagzeilen, welch veraltete Technologie! Ich bin die Zukunft.

Das ist ja das Problem. Sie sind immer die Zukunft. 1955 sagte der indische Atomphysiker Homi Bhabha voraus, in 20 Jahren werde die Kernfusion einsatzbereit sein. Demnach müssten wir seit über 30 Jahren Energie aus der Kernfusion beziehen.

Na ja, damals konnte man das eben noch nicht richtig einschätzen. Heute kann man.

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Auch später gab es kaum belastbare Zeitpläne. Noch 2005 war die EU-Kommission „zuversichtlich“, der Reaktor werde „nach 2015“ in Betrieb gehen.

So wird’s ja auch sein.

Großzügig formuliert! Inzwischen heißt es, der Forschungsbetrieb soll 2019 beginnen, aber nur mit normalem Wasserstoff. Erst 2026 soll das erste Deuterium-Tritium-Plasma erzeugt werden.

Ich bitte Sie, wir sprechen hier von hochkomplexen Vorgängen, so was geht nicht von heute auf morgen.

Wohl wahr, inzwischen gelten Sie auch offiziell nicht mal mehr als das Demonstrationskraftwerk einer Technik, die wirtschaftlich Strom erzeugen kann – das soll jetzt Ihr Nachfolger DEMO werden, irgendwann Mitte des Jahrhunderts.

Richtig, ich bin nur der Weg zum Ziel. Sagt ja auch mein lateinischer Name: Iter.

Interessant, war Ihr Name nicht ursprünglich die Abkürzung für „International Thermonuclear Experimental Reactor“?

Stimmt, aber so flexibel muss man schon sein in der Spitzenforschung.

Nichtsdestotrotz gehört die ganze Kernkraft-Technologie auf den Müllhaufen der Geschichte!

Irrtum, mein Lieber! Mit einem normalen Atomkraftwerk können Sie mich nicht vergleichen! Das fängt schon beim Rohstoff an. Meine Ingenieure brauchen nur ein bisschen Schweren Wasserstoff und ein bisschen Lithium, um daraus den superschweren Wasserstoff herzustellen, das Tritium. Die ganze Umweltzerstörung für den Uranabbau, die fällt bei mir weg.

Rührend. Sie klingen ja, als seien Sie die wahrhaft erneuerbare Energie.

Sie sagen es!

So? Und was ist mit den radioaktiven Abfallprodukten?

Nicht der Rede wert! Bei mir fällt viel weniger radioaktives Material an, und man braucht auch viel weniger Ausgangsmaterialien.

Selbst wenn – sogar renommierte Physiker kritisieren, Sie würden niemals funktionieren.

Ha! Die sind nur neidisch, dass ich so viele Forschungsgelder abziehe. Aber ich bin nun mal das sexiest project alive! Ich habe Hochvakuum, Supraleitung, extrem starke Magnetfelder und natürlich diese super-duper-Megatemperatur: 100 Millionen Grad! Sechsmal heißer als die Sonne. Und aus einem Gramm Wasserstoff hole ich so viel Energie wie aus elf Tonnen Kohle.

In der Theorie!

Irgendwann auch in der Praxis. Wir nähern uns der Gewinnschwelle. Aber dafür braucht es eben mehr Größe. Ich bin doppelt so groß wie mein Vorgänger JET, und ich werde vielfach effektiver sein.

Wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

GESPRÄCH: MARTIN RASPER

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