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Ist das Zwei-Grad-Ziel noch zu halten?

Ölboom in Zeiten der Erderwärmung

Ist das Zwei-Grad-Ziel noch zu halten?
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Ölförderung © kiono - Fotolia.com
Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik über den fatalen Öl- und Gasrausch in Amerika, über positive Zeichen aus China und vernachlässigte Forschungsbereiche in der Klimawissenschaft.

Fotolia_46773962_XS_250.jpgSeit 2010 ist das Zwei-Grad-Ziel von der Weltgemeinschaft anerkannt: Mehr als zwei Grad soll die Erderwärmung nicht steigen. Es fehlt aber an verbindlichen Maßnahmen zur Reduktion von klimaschädlichen Gasen. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass in den kommenden Jahren ein Abkommen verabschiedet wird, in dem sich alle Staaten auf anspruchsvolle und verbindliche Minderungsziele verständigen?
0,5 Prozent, also sehr gering. Wenn die Frage lauten würde: Halten Sie einen globalen Vertrag bis 2015 für möglich, dann wäre die Antwort zuversichtlicher. Doch selbst in einem solchen Falle wäre ich skeptisch, ob Amerikaner und Chinesen einen Vertrag wirklich wollen. Und selbst wenn es ihn gibt, werden da keine Maßnahmen drin stehen, die mit der Erreichung des Zwei-Grad-Ziels kompatibel sind.

Möglicherweise ändert sich die US-Haltung in Klimafragen. Mit John Kerry gibt es dort nun einen Außenminister, der sich für mehr Klimaschutz ausspricht, und Obama hat in seiner zweiten Amtszeit nichts mehr zu verlieren. Eine Wiederwahl ist per Verfassung ausgeschlossen. Erwarten Sie eine neue Klimaschutzpolitik?
Es könnte zumindest sein, dass die Haltung der USA progressiver wird. Kerry ist stärker noch als seine Vorgängerin Hillary Clinton ein Verfechter der Klimapolitik. Aber jeder Vertrag, den die US-Regierung unterschreibt, muss am Schluss vom Repräsentantenhaus und vom Senat mit einer zwei Drittel Mehrheit ratifiziert werden. Und im Repräsentantenhaus haben die Republikaner genug Stimmen, um einen Vertrag zu verhindern.

2012 war für die USA das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 117 Jahren. Nicht zuletzt Texas, der Bundesstaat der Ölförderer und Klimaskeptiker, war betroffen. Hat die Hitze zu einer Einsicht geführt?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Das Problem ist, dass das Thema Klimawandel in den USA hochgradig ideologisch aufgeladen ist. Und der Aufstieg der Tea-Party innerhalb der Republikaner hat zu einer weiteren Ideologisierung geführt. Nur wer in der Partei das ganze Klimathema weiterhin für übertrieben hält, besteht den Lackmustest als echter Republikaner. Gleichwohl kann man nicht prognostizieren, wie sich die politische Diskussion in den nächsten Jahren verändert wird. Ich habe aber eher die Befürchtung, dass in den USA künftig andere Optionen diskutiert werden: Es geht dann sicher nicht um Anpassung; damit bewältigt man ohnehin nicht das Problem, sondern nur die Folgen. Man wird vielmehr über Geo-Engineering sprechen, also über die technische Manipulation des Klimas. So muss man nicht über das eigene, verschwenderische Energiesystem reden.

Nach einer Einschätzung der Internationalen Energieagentur könnte die USA in 20 Jahren unabhängig von Erdöl und Gas aus dem Ausland sein. Das Land wäre zumindest zeitweilig der größte Ölproduzent der Welt. Was bedeutet das für den Klimaschutz?
An diesem Trend zeigt sich, dass in den USA im Zweifelsfall die Energiesicherheit mehr zählt als der Klimaschutz. Wenn die USA in großem Maße in die heimische Ölförderung einsteigen, dann fördert das auch nicht die Bereitschaft, sich anspruchsvolle Reduktionsziele vorzunehmen.

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Bei Klimaverhandlungen argumentiert Washington gerne: Solange sich China nicht bewegt, bewegen wir uns auch nicht. Wie ist Chinas Politik aber überhaupt einzuschätzen? Ist sie nicht janusköpfig: Denn einerseits geht in China jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Andererseits werden alternative Energien massiv ausgebaut. Ist China nun ein bad guy oder ein good guy?
Die machen eben beides. Sie bauen erneuerbare Energien massiv aus, und das ist ein positives Zeichen. Das verändert vor allem global den Status der Erneuerbaren. Denn Wind- und Solartechnik werden damit in einer Masse produziert, die sich sehr positiv auf die Preisentwicklung auswirkt. Das ist das eine. Aber die Kohlekraftwerke, wie viele es letztlich auch immer sein mögen, bedeutet eben insgesamt, dass die chinesische Energieproduktion nicht sauberer wird. Beim Klimaschutz kommt es am Ende jedoch nicht darauf an, wie viel Prozent die Erneuerbaren an der Stromerzeugung haben, sondern schlicht: Wie hoch sind die Gesamtemissionen? Und die steigen in China nach wie vor. Trotz der positiven Anzeichen ist eine Trendwende bislang nicht zu erkennen.

Weltweit steigen die Kohlendioxid-Emissionen. Wenn das so weitergeht: Wo landen wir mit der Temperatur?
Das ist schwer zu sagen. Erstens wissen wir nicht, ob 2015 ein Klimavertrag kommt. Und vielleicht macht ein Vertrag auch gar keinen Unterschied. Nach wie vor existieren zudem große Unsicherheiten, wie sehr sich die Emissionen auf den Temperaturanstieg auswirken. Diskutiert werden derzeit drei bis sechs Grad, was eine enorme Bandbreite ist. Wenn die Emissionen weiter steigen wie bisher, dann lässt sich immerhin vorhersagen, dass es – in Anführungszeichen – ungemütlich wird und dass sich die Wetterverhältnisse in manchen Weltregionen radikal ändern werden. Das wird vor allem für Regionen ein Problem, die schon jetzt benachteiligt sind – in der EU wird das südliche Europa stärker betroffen sein als Mitteleuropa.

Was meinen Sie mit der Aussage, dass ein Vertrag möglicherweise keinen Unterschied macht?
Wir verhandeln ja im Grunde seit der Rio-Konferenz 1992 erfolglos über einen Vertrag. Damals wurde die Klimarahmenkonvention verabschiedet. Trotzdem sind die Emissionen immer weiter gestiegen. Wenn wir jetzt einen Vertrag bekommen, ist die Frage, ob er überhaupt Sanktionsmechanismen vorsieht. Für einen UN-Vertrag wäre das sehr ungewöhnlich. Die EU würde sich sicher an einen Vertrag halten und dementsprechend handeln – auch ohne Sanktionen. Aber andere Staaten unterschreiben solche Verträge und nehmen das dann nicht weiter ernst. Ein Beispiel: 2010 haben 194 Staaten im mexikanischen Cancun das Zwei-Grad-Ziel unterschrieben. Aber sind daraus irgendwelche Maßnahmen erwachsen? Letztlich kommt es also nicht darauf an, ob es einen Vertrag gibt oder nicht, sondern darauf, was on the ground passiert. Für alle Staaten stellt sich letztlich die Frage, welche Alternativen es zu einer kohlenstoffbasierten Wirtschaftsweise gibt. Wenn es diese Alternative gibt, dann können Vorreiter wie Deutschland und Europa weiter vorpreschen. Andere werden folgen und zwar ganz gleich, ob es einen Vertrag gibt oder nicht.

Sie prognostizieren eine Abkehr vom Zwei-Grad-Ziel. Wäre eine solche Abkehr nicht für Europa und insbesondere für Deutschland mit enorm hohen politischen Kosten verbunden?
Das wäre in der Tat der Fall. Europa hat sich 1996 zum Zwei-Grad-Ziel bekannt und es später auf UN-Ebene durchgesetzt. Aber niemand kann seine Augen davor verschließen, dass das Zwei-Grad-Ziel vor dem Scheitern steht. Im Grunde wird die Klimawissenschaft seit langem genötigt, immer neue immer optimistischere Modelle zu produzieren, die beschreiben, wie sich das Ziel eventuell noch erreichen lässt. Seit Jahren sagen Wissenschaftler, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre umkehren müssen, sonst sei alles zu spät. Gleichwohl steigen die Emissionen weiter. Niemand will darüber nachdenken, was passiert, wenn die Wissenschaft plötzlich sagen würde: So, das war’s jetzt! Für eine solche Situation hat niemand einen Plan B. Meine Befürchtung ist, dass an dem Tag, an dem Wissenschaftler sagen: Es geht nicht mehr, es ist zu spät, dass dann ein Fatalismus eintritt. Der könnte dazu führen, dass man keine Maßnahmen mehr für den Klimaschutz ergreift. Dabei macht es einen enormen Unterschied, ob die Temperaturen um zweieinhalb oder drei Grad steigen – oder eben um vier oder fünf Grad.

Europa ist offiziell für zehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. In solch einer Rechnung ist aber nicht enthalten, dass die EU ihre Werkbänke nach China verlagert hat. Damit fallen letztlich in China Emissionen an, für die wir verantwortlich sind. Müssen wir die Emissionen nicht neu berechnen?
In der Logik internationaler Klimaregime geht es immer zuerst darum, was man auf eigenem Boden produziert und emittiert. Danach stimmen die zehn Prozent für Europa mehr oder weniger. Es ist aber durchaus richtig, dass China eine verlängerte Werkbank Europas ist, und wir haben ja Zahlen, wonach die Importe aus China und Südasien enorm gestiegen sind. So gesehen sind wir mitverantwortlich für Chinas Emissionen. Und damit ist die positive Bilanz der Europäer beim Klimaschutz nicht so glänzend wie sie aussieht. Vor allem Großbritannien hat sehr erfolgreich seine Emissionen exportiert und die Güter dann wieder importiert. Die Treibhausgase, die dabei entstanden sind, tauchen jetzt in der Bilanz Chinas auf. Insgesamt sind wir Europäer nicht so gut im Klimaschutz wie wir glauben.

Was folgt politisch aus dieser Beobachtung?
Da will niemand drüber sprechen. Politisch profitiert Europa. Denn wie gesagt: Das Anrechnungssystem funktioniert nach Territorium. Aber es gibt eben Anlass zum Zweifel, wie wirksam die europäische Klimaschutzpolitik tatsächlich ist. Man müsste eigentlich Importe in Länder, in denen es keine Klimapolitik gibt, entsprechend dem CO2-Gehalt besteuern. Es handelt sich um einen vernachlässigten Forschungsbereich – was für sich schon problematisch ist. Alle wissen, dass das Problem existiert, aber es gibt keine guten Darstellungen.

Sind die Reduktionsziele der EU engagiert genug? Hätte Europa in Doha nicht seine Ziele auf 30 Prozent Reduktion verbindlich festlegen sollen?
Die EU sagt seit langem: Zwanzig Prozent Reduzierung machen wir auf jeden Fall, dreißig Prozent, wenn die anderen mitmachen. Man hat dieses Angebot schon 2009 in Kopenhagen gemacht. Damals hat es die anderen Staaten nicht interessiert. Inzwischen hat Europa seine Emissionen um fast 20 Prozent reduziert. Und jetzt kann es ja nicht ernsthaft die Ansage der EU sein, dass man sich bereiterklärt, in den nächsten sieben Jahren noch mal 2,5 Prozentpunkte zu reduzieren. Für einen Vorreiter wäre das ein bisschen mager. China und die USA machen ihre Politik ohnehin nicht davon abhängig, ob die EU jetzt dreißig Prozent einspart oder nicht.

Welchen Weg sehen Sie, um einen globalen Klimaschutz zu etablieren: Wird es ohne einen Handel mit Verschmutzungsrechten funktionieren?
Ein globaler CO2-Preis und ein damit verbundener Emissionshandel ist vermutlich die logischste Variante. Theoretisch könnten die Länder auch beschließen, dass sie alle eine CO2-Steuer einführen. Langfristig wird der CO2-Handel ein wichtiges Instrument des Klimaschutzes werden. Er muss aber nicht von heute auf morgen global entstehen, sondern kann aus regionalen Regimen hervorgehen, die immer mehr miteinander verwachsen.

Im Herbst wird das Kohleland Polen die nächste Klimakonferenz ausrichten. Wie bewerten Sie das?
Das würde ich nicht überbewerten. Man will sich einfach als internationaler Konferenzstandort etablieren. Das war auch für Katar der Hauptgrund. Als Ausrichter der nächsten Konferenz will Polen zeigen, dass man ernsthaft an dem Thema interessiert ist und nicht einfach nur stur blockiert. Das Land fährt heute eine sehr proaktive Strategie. Warschau hebt sehr stark hervor, dass man 2015 einen tragfähigen Weltklimavertrag braucht. In der Fußnote steht allerdings immer: Wenn der Vertrag nicht kommt, müssen wir in Europa im Klimaschutz auf die Bremse treten.

Bundesumweltminister Peter Altmaier hatte in Doha einen „Club der Energiewendestaaten“ angekündigt. Was halten Sie von der Idee?
Der Club wurde mittlerweile in Abu Dhabi gegründet. Es wirkt derzeit, als wären nicht allzu hohe Kriterien angelegt worden. Man sollte einen Club auf die beschränken, die es ernst meinen. Altmaier ist sogar auf China zugegangen. Ich sehe in China aber keine Energiewende. Die Club-Idee ist gut, aber ein Club muss so realisiert werden, dass Fortschritte möglich werden.

Das Gespräch führte Dirk Liesemer.

Geden_Oliver_presse_150.jpgZum Gesprächspartner
Dr. Oliver Geden arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen derzeitigen Themenschwerpunkten zählen Energie-, Klima- und Rohstoffstrategien der EU und deren einzelner Mitgliedstaaten.

Foto oben: Fotolia
Foto links: privat

© natur.de – Dirk Liesemer
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