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„Meine Vision: ein globales Ökostrom-Netz“

Interview mit dem Solar-Experten Eicke Weber

„Meine Vision: ein globales Ökostrom-Netz“
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Eicke Weber - Bild: ©Fraunhofer ISE
Warum die Kritiker der Energiewende Unrecht haben, kann kaum jemand besser erklären als Eicke Weber, Leiter am Fraunhofer-Insitut für Solare Energiesysteme in Freiburg. In natur legte er 2011 dar, weshalb Photovoltaik massiv unterschätzt wird, wieso die Strompreise aus alternativen Energieträgern auf Dauer sinken und wie wir uns 2050 mit Strom versorgen.

An was für Sparmaßnahmen denken Sie?

Das beginnt bei Glühlampen und ständigem Standby-Betrieb – da sind enorme Mengen an Kilowattstunden einzusparen. Es gibt zum Beispiel eine wunderbare Aktion von Schulkindern: Die betätigen sich als Energiescouts und suchen zu Hause nach Energiefressern. Die Kinder schließen mit ihren Eltern einen Vertrag, nach dem sie die Hälfte der eingesparten Stromkosten als Zusatz zu ihrem Taschengeld bekommen. Dabei kam heraus:

Zehn Prozent Strom einsparen kann praktisch jeder Haushalt, wenn er nur etwas sorgfältiger mit Energie umgeht.

Wenn Sie einen Leuchter haben mit zehn 60-Watt-Birnen und die jeweils durch 12-Watt-Energiesparlampen ersetzen, dann haben Sie statt 600 nur noch 120 Watt.

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Aber das reicht doch nicht, um den Atomstrom zu ersetzen.

In Deutschland wird immer noch völlig unterschätzt, wie schnell wir erneuerbare Energien ausbauen können. Im Jahr 2011 könnten wir ohne weiteres zehn Gigawatt an Photovoltaik dazubauen, was uns dann jährlich neun Terawattstunden zusätzlich bringen würde. Zum Vergleich: Die deutschen Kernkraftwerke speisen insgesamt etwa 150 Terawattstunden ein. Das heißt, jedes Jahr können wir ein knappes Zehntel des Stroms aus Atomkraftwerken ersetzen durch Strom aus Photovoltaik. Natürlich scheint die Sonne nicht immer. Deshalb muss man über Vernetzung sprechen, über die Einbindung von anderen Quellen.

Welche sind das?

Mein attraktivster Vorschlag: Lasst uns eine vernünftige Abmachung mit den Ländern schließen, die Wasserkraft nutzen – mit der Schweiz oder mit Norwegen: Wenn bei uns die Sonne scheint und der Wind weht, liefern wir denen Strom, sodass sie ihre Talsperren aufstauen können. Wenn wir Strom brauchen, beziehen wir ihn von dort. Das ist für beide Seiten ein vielversprechendes Geschäft.

In Ihrer Studie verweisen Sie auf das bisherige Energiekonzept der Stuttgarter Landesregierung und sagen, das beruhe auf veralteten Zahlen …

Richtig. Dieses Energiekonzept beruht noch auf Zahlen, die etwa zehn Jahre alt sind. Die Photovoltaik ist seitdem aber in ihren Kosten drastisch gesunken. Alte Studien gehen noch von 40 Cent pro Kilowattstunde aus – in Wirklichkeit liegt die Erzeugung in Deutschland heute bei 20 bis 22 Cent. Und die Kosten sinken rasend schnell weiter.

Wodurch kommt das?

Wir haben die Effizienz von Solarzellen stark verbessert: Vor fünf Jahren wurden zwischen 13 und 15 Prozent des Sonnenlichts in Strom umgewandelt, heute sind es zwischen 16 und 20 Prozent – und das bei deutlich niedrigeren Preisen. Früher hatte ein Modul eine Leistung von 100 bis 150 Watt, heute können Sie Module kaufen, bei denen dieselbe Fläche 280 Watt bringt. Das sind Fortschritte, die zu enormen Preissenkungen führen. Heute bekommt man für weniger als 2,50 Euro pro Watt eine fertig installierte Anlage. Jetzt rechnen Sie mal durch: Für ein Kilowatt müssen Sie 2500 Euro bezahlen. Dieses eine Kilowatt bringt in Deutschland zwischen 800 und 1000 Kilowattstunden im Jahr. Bei einem Preis von 20 Cent pro Kilowattstunde bekommen Sie jährlich knapp 200 Euro – und das bei einer Investition von 2500 Euro. Das hätte man vor vier Jahren nicht für möglich gehalten.

Sie wollen also langfristig Atomkraft vor allem durch Photovoltaik ersetzen …

… ja, und zwar durch dezentrale Photovoltaik. Verteilt auf Häuserdächer, Industriehallen, Parkplätze und dergleichen. Wir sind nicht dafür, Äcker mit Solarzellen zu überziehen. Es gibt genug Möglichkeiten, sie in bestehende Strukturen einzubauen.

An Dezentralisierung haben ja gerade die Energiekonzerne traditionell eher wenig Interesse …

Das ist der entscheidende Punkt! Sie fürchten die dezentrale Stromerzeugung so sehr wie der Teufel das Weihwasser: Jede Kilowattstunde, die dezentral eingespeist wird, verringert den Profit der Konzerne. Das wird vollkommen außer Acht gelassen bei der Diskussion: Die Konzerne argumentieren mit Versorgungssicherheit, aber in Wirklichkeit geht es um ihre knallharten finanziellen Interessen, um nichts anderes. Früher war die Elektrizitätsversorgung in der öffentlichen Hand, heute ist sie in der Hand von Aktiengesellschaften, die aus völlig nachvollziehbaren Gründen um ihren Profit kämpfen. Und wenn die Konzerne auf alter-native Energien setzen, dann auf Großprojekte wie Desertec.

Aber in der Wüste scheint die Sonne nun mal mehr als bei uns.

Wir reden hier über zwei verschiedene Prozesse. Der erste ist die Abschaltung der Kernreaktoren – dafür kann Desertec keine Rolle spielen, denn die Desertec-Vision spielt erst im Zeitraum 2020 bis 2030 eine Rolle; sie kommt ins Spiel, wenn wir die gesamte Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen und auch Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke abschalten wollen. Dann macht es durchaus Sinn, einen Teil unseres Stroms als Solarstrom dort zu ernten, wo die Sonne am stärksten scheint.

Meine persönliche Vision für die Zeit ab 2050 ist ein weltumspannendes Stromnetz: Die Sonne scheint auf einem Teil des Planeten zu jeder Tageszeit.

Wenn wir den Strom weltweit verteilen, dann können wir aus der Sonnenenergie einen wesentlichen Teil unseres Bedarfs decken. Aber um Kernkraftwerke abzuschalten, müssen wir über unsere heimischen Möglichkeiten für erneuerbare Energien sprechen, die wir heute haben.

In Ihrem Konzept für Baden-Württemberg spielt Offshore-Windkraft eine tragende Rolle – auch nicht gerade ein Paradebeispiel für Dezentralisierung …

… ja, wobei ich die ausdrücklich als Brückentechnologie bezeichnen würde: Langfristig könnte sie nämlich im Vergleich zu teuer sein. Wenn wir größere Windmühlen bauen, steigt der Preis pro Kilowattstunde – in der Photovoltaik sinken die Kosten kontinuierlich.

Und die Gaskraftwerke, die laut Ihrem Konzept die Grundlast decken, sind wohl eher auch eine Brückentechnologie?

Wenn wir über das Jahr 2030 hinaus schauen, werden sie möglicherweise überflüssig. Bis dahin kann man die Abhängigkeit von Gasimporten deutlich senken, indem man Biogas aus Abfällen einspeist und – das wissen viele noch nicht – Wasserstoff: In das heutige Gasnetz kann man problemlos bis zu zehn Prozent Wasserstoff einspeisen. Und den überschüssigen Strom aus Wind und Sonne können wir dazu nutzen, um fast kostenlos aus Wasser Wasserstoff herzustellen und diesen zu Methan umzuwandeln – eine Erdgasproduktion aus Sonnenenergie also.

Ihr Kollege Michael Sterner hat kürzlich ein Konzept für einen bundesweiten Atomausstieg bis 2020 präsentiert – und erklärt, der würde um die 230 Milliarden Euro kosten.

Das klingt durchaus realistisch. Eine Zahl von 230 Milliarden Euro, zumal über ein Jahrzehnt verteilt, ist für jemanden, der sich im Energiesektor auskennt, überhaupt nicht erschreckend. Allein 2010 haben wir in Deutschland rund acht Gigawatt an Solaranlagen gebaut – und dafür 20 Milliarden Euro investiert.

Um wie viel wird es für mich als Verbraucher teurer, wenn wir so schnell aus der Atomkraft aussteigen?

In unserem Szenario wird die Einspeisevergütung für Photovoltaik, die wir alle über unsere Stromrechnung bezahlen, von den heutigen 1,5 Cent pro Kilowattstunde auf insgesamt 2,5 Cent erhöht. Gleichzeitig wird an der Börse der Strom billiger, je mehr aus Erneuerbaren eingespeist wird. Im langjährigen Durchschnitt der letzten 15 Jahre ist der Strompreis für Verbraucher jährlich um vier bis sechs Prozent gestiegen – schon in einer Zeit, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz noch keine Rolle spielte. Ich wage die Prognose, dass sich der ohnhin stattfindende Anstieg des Strompreises in wenigen Jahren durch den Ausbau der Erneuerbaren sogar verringern wird – weil wir dann unabhängig werden vom Ölpreis.

Wenn wir erst einmal ganz auf Erneuerbare umgestellt haben, gibt es keinen Grund mehr, von immer weiter wachsenden Strompreisen auszugehen. Dann werden die Preise sinken, und Deutschland wird als Volkswirtschaft einen massiven Vorteil daraus ziehen.

Zum Gesprächspartner
Prof. Dr. Eicke R. Weber ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg.

Das Interview führte Tobias Zick. Es erschien in der Ausgabe Juli 2011 unseres Magazins.

Bild: ©Fraunhofer ISE

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