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Naturschutz statt Grenzposten – wie alles begann

Erster Teil des Interviews zum „Grünen Band“

Naturschutz statt Grenzposten – wie alles begann
Thueringen
Thueringen
In unserem Oktober-Heft (10/2014) ziehen wir die „Ökobilanz der Wende“, die vielfach gut ausfällt: Flüsse und Luft sind sauberer und das „Grüne Band“ wächst, ein geplanter Naturschutzstreifen entlang des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“. Auf dem Rückweg von einer Recherchereise in Slowenien hat unser Reporter Jan Berndorff Gelegenheit zum Gespräch mit den Initiatoren des Projekts. Er erfährt, wie in der Umbruchphase der Wiedervereinigung alles begann. Wir veröffentlichen das Interview in drei Abschnitten.

natur: Herr Frobel, wie kamen Sie eigentlich darauf, dass aus dem ehemaligen Todesstreifen ein Streifen des Lebens werden könnte?

Frobel: Ganz am Anfang stand ein Schülerprojekt. Schon Mitte der 70er Jahre war ich in der Jugendorganisation des Bund Naturschutz aktiv, war viel in der Natur unterwegs und habe vor allem Vögel in meiner Heimat im oberfränkischen Mitwitz beobachtet – ganz in der Nähe der innerdeutschen Grenze. 1977 nahm ich dann an einem vom Bayerischen Innenministerium ausgerichteten Schülerwettbewerb teil, „Jugend entdeckt Natur“ hieß der. Dafür machte ich Vogelerfassungen im Steinachtal zwischen Coburg und Kronach. Und gewann den Wettbewerb. Ich hatte nachgewiesen, dass im unmittelbaren Grenzgebiet tatsächlich noch Vögel wie Braunkehlchen, Grauammern, Neuntöter und Raubwürger vorkamen – Arten, die anderswo in Deutschland nicht zuletzt aufgrund der Flurbereinigung verschwunden waren. Mein kleines Projekt machte erstmals deutlich, welchen Wert die Naturstrukturen an der Grenze haben. Wer Rote Liste-Arten suchte, musste eigentlich nur mit dem Fernglas in den Todesstreifen schauen. 1979 bis 1984 haben wir dann, ebenfalls mit einer Handvoll Jugendlicher, ein großes ornithologisches Erfassungsprogramm auf 1000 Quadratkilometern zwischen Bamberg und Coburg durchgeführt. Dabei haben wir durchaus auch über die Grenze hinweg geschaut. Per Fernglas ging das. Nun hatten wir 140 Kilometer Grenze untersucht, zehn Prozent der gesamten innerdeutschen Grenze. Die Ergebnisse der ersten untersuchungen wurden während dieser umfangreicheren Untersuchungen bestätigt und später dann auch in anderen Grenzregionen. Diese Vogelstudien waren die fachliche Grundlage für die spätere „Grüne Band“-Initiative, die Hubert Weiger und ich dann angestoßen haben.

Kai Frobel in den 1970ern im Grünen Band

Kai Frobel in den 70er Jahren – damals gab es noch kein „Grünes Band“.

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natur: Wann wurde das Schülerprojekt „erwachsen“?

Frobel: 1981 erfolgte das erste BN-Pressegespräch allein zu dem Thema „Letzter Zufluchtsort Todesstreifen?“ Der BN machte auch erste Eingaben, etwa ein zu entwässerndes Moorgebiet nicht trockenzulegen, und er kaufte erste Flächen auf, um sie für den Naturschutz zu sichern.

Weiger: Unsere große Sorge war, dass man uns missverstehen könnte: Wie setzen wir uns für den Erhalt dieser Gebiete ein, ohne dass es heißt, der BN wolle, dass die Grenze aufrecht erhalten wird? Die Tatsache, dass es im Todesstreifen so gut um die Artenvielfalt bestellt war, zeigte ja, wie schlecht es im landwirtschaftlichen Naturschutz auch im Westen stand – und selbst heute noch steht. Es ist eine Dokumentation für das Versagen der Politik.

Frobel: Das Paradoxe war, dass viele Arten nur überleben konnten, weil der Todesstreifen existierte. Was natürlich nicht hieß, dass wir den Todesstreifen gut fanden, sondern nur, dass man diese ungestörte Natur unbedingt bewahren sollte. Darauf wollten wir hinaus. Wir haben dann aber offenbar einen ganz guten Weg gefunden, dies in der Öffentlichkeit darzustellen. Niemand hat uns eine Verherrlichung des Eisernen Vorhangs vorgeworfen.

natur: Was passierte 1989, als die Mauer fiel?

Weiger: An dem Tag war gerade zufällig eine Delegation aus der DDR bei uns zu Besuch. Wir hatten als Verband ganz offiziell Kontakte zur Naturschutzabteilung des Kulturbundes. Als wir bei dem Treffen von der Öffnung der Grenze in den Nachrichten erfuhren, sind die Kollegen aus dem Osten natürlich gleich nach Hause gefahren, um dabei zu sein. Neben diesen offiziellen Kanälen hatte Kai Frobel auch Kontakte zu Forschern und privaten Artenschützern in der DDR durch seine Kartierungsarbeiten …

natur: Wie das?

Frobel: Per Briefverkehr konnte man schon Kontakt aufnehmen und halten, um sich auszutauschen – auch wenn sicher alle Schreiben von der Stasi kopiert wurden.

Weiger: Daher hatten wir also Adressen, Kai von den lokalen, der Verband von den offiziellen Naturschützern. Unser erster Gedanke war nun – neben der Freude natürlich: Welche Chancen bieten sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs für den Naturschutz? Wir haben dann gleich am ersten Tag nach Mauerfall Einladungen an alle 27 uns bekannten Adressen geschickt für ein Treffen.

natur: Mit welchem Thema?

Weiger: Das war erst einmal ganz neutral gehalten nach dem Motto: Wir besprechen, wie die Zusammenarbeit weitergeht. Wir wollten vielleicht auch ein paar Tipps geben, wie man Verbände aufbaut – so etwas gab es in der DDR ja gar nicht. Wir nannten es das „Erste Deutsch-Deutsche Naturschutztreffen“. Aber als es dann kurze Zeit später in Hof stattfand, hatten wir eine fertig formulierte Resolution in der Schublade, die im Prinzip das Fundament der Initiative zum Grünen Band darstellt.

Natur: Wie kann man sich so ein Treffen vorstellen?

Weiger: Wir trafen uns in der Gaststätte Eisteich in Hof. Und waren überwältigt von der Resonanz: Es kamen über 50 Experten aus der ganzen DDR bis hinauf nach Rügen. Insgesamt waren es sogar rund 400 Teilnehmer. Die Gaststätte, die ja nebenher normalen Betrieb hatte, platzte aus allen Nähten. Organisatorisch waren wir etwas überfordert, doch der Abend wurde dennoch ein voller Erfolg. Man spürte, dass jeden die gleichen Motive bewegen. Am Ende haben alle die Resolution unterzeichnet, die besagt, dass „der Grenzstreifen als Grünes Band und ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorrangig zu sichern“ sei. Die Idee, das Grüne Band über Deutschland hinaus zu erweitern, war damals schon angelegt. Das Grüne Band war nun also unser erstes gemeinsames Projekt.

natur: Welche Wirkung hatte die Resolution?

Weiger: Wir haben sie an alle möglichen Stellen geschickt, die mit Naturschutz befasst sind. Von der Politik hat das Bayerische Umweltministerium recht früh reagiert und ein umfassendes Kartierungsprojekt finanziert, das wir gefordert hatten, um die schützenswerten Lebensräume an der Grenze insgesamt zu erfassen.

Frobel: Viele der Teilnehmer von Hof, etwa die von der thüringischen Landesstelle für Naturschutz, haben dann auch tatsächlich einstweilige Sicherstellungen umgesetzt, so dass mit den betroffenen Grenzabschnitten erst einmal nichts geschah – wir wussten ja, dass nun sicher jede Menge Straßen und Autobahnen gebaut werden sollten und Landwirte die Flächen in Nutzung nehmen wollten.

natur: Gab es nicht auch Skepsis?

Weiger: Selbstverständlich! Viele Kollegen monierten, wir schafften es in Deutschland ja nicht mal, einen zusammenhängenden Lebensraum von einem Kilometer zu erhalten, wie solle das nun erst mit 1400 Kilometern gehen? Das sei vollkommen utopisch! Doch Kai Frobel hat das Grüne Band dann zu seinem Arbeitsschwerpunkt gemacht. Der Deutsche Einigungsvertrag hatte bestimmt, dass die gesamten Grenzgebiete einstweilen der Bundesrepublik Deutschland gehören. Nun galt es, den Anspruch des Naturschutzes bei der Politik geltend zu machen. Es folgten Briefe, Gespräche, Pressefahrten – Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit tagaus, tagein. Der erste, der sich verbal für das Projekt aus dem Fenster lehnte, war dann Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Er zählte das Grüne Band zum „Tafelsilber der deutschen Einheit“.

Nicht alle Politiker waren so begeistert von der Idee des „Grünen Bands“ wie Klaus Töpfer. Welche Gegenstimmen und Probleme es gab, lesen Sie im zweiten Abschnitt des interviews.

Im dritten Teil des Interviews erfahren Sie mehr darüber, wie das einstige deutsche Schülerprojekt zu einem mehr als 12000 Kilometer langen Naturschutzstreifen quer durch Europa werden soll.

Im Oktober-Heft finden Sie außerdem spannende Artikel zur „Ökobilanz der Wende“ und ein persönliches Interview mit Michael Succow, Vize-Umweltminister der DDR im Jahr 1990 und Träger des „Alternativen Nobelpreises“.

Hubert Weiger  

 

 

Hubert Weiger war von Anfang an beim Projekt „Grünes Band“ dabei. Heute ist er unter anderem Professor für Forstwirtschaft.

 

 

 

 

 

 

Kai Frobel  

 

 

Kai Frobel inmitten des Projekts, das er einst mit initiierte.

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Infos zum grünen Band in Deutschland, in Europa und zusammengefasst vom Bundesamt für Naturschutz.  

Fotos: Klaus Leidorf (Titelbild), BUND

© natur.de – Jan Berndorff
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