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Ohne Welthandel noch mehr Emissionen

Interview über Treibhausgase und CO2-Zölle

Ohne Welthandel noch mehr Emissionen
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Welthafen © Marco2811 - Fotolia.com
Je stärker der globale Handel zunimmt, desto dringender stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit für die CO2-Emissionen: Ist derjenige Staat verantwortlich, in dem bestimmte Waren hergestellt werden, oder eher der, in dem eben diese Waren verkauft werden? Ein Gespräch mit Michael Jakob vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung: über ausgelagerte Werkbänke, komplexe Forschung und einfache Lösungen

Fotolia_42591920_XS_250.jpgSie haben kürzlich in einer Studie dargelegt, dass der Ausstoß von Treibhausgasen noch stärker ansteigen könnte, wenn sich Europa aus dem Welthandel zurückziehen würde. Wie ist das zu erklären?
Der Welthandel ist äußert komplex, aber der entscheidende Punkt ist folgender: Europäische Staaten exportieren viele Güter, beispielsweise Maschinen, bei deren Produktion viel Energie benötigt wird. In Europa wird diese Energie relativ sauber erzeugt. Das heißt: Sie stammt in einem hohen Maße aus erneuerbaren Energien, und auch unsere Kohlekraftwerke arbeiten effizienter als beispielsweise jene in Asien. Es ist also derzeit für das Klima besser, wenn Maschinen in Europa hergestellt werden und dann – trotz des Transportwegs – zum Beispiel nach China verkauft werden. Erst wenn China vermehrt auf saubere Energien setzt, könnte sich das ändern. Entscheidend ist also weniger, wie viel Welthandel betrieben wird, sondern wie sauber die jeweilige Erzeugung von Energie abläuft.

Europa erhält seinerseits viele Waren aus China. Wie wirkt sich das auf unsere CO2-Bilanz aus?
Schwer zu sagen. Oft handelt es sich allerdings um Güter, bei deren Herstellung nicht allzu viele Emissionen freigesetzt werden. Leichtelektronik, Textilien und so weiter. Tatsache bleibt gleichwohl, dass der internationale Handel wächst und damit zunehmend Treibhausgase gewissermaßen von einem Land ins andere transportiert werden. Die Treibhausgase stecken dabei – bildlich gesprochen – „in den Gütern“, und es wird in der Politik und der Wissenschaft deshalb darüber debattiert, welchem Land die Emissionen zugerechnet werden müssten: dem Erzeuger oder dem Verbraucher? Eine Antwort gibt es bislang nicht.

Derzeit gilt das Territorialprinzip: Jeder Staat, jede Region ist nur für die Emissionen verantwortlich, die auf seinem Territorium entstehen. Europa verantwortet demnach rund elf Prozent der globalen Emissionen. Wenn man nun die Warenströme betrachtet: Muss man dann annehmen, dass Europa viel mehr Emissionen erzeugt als die eben genannten elf Prozent?
Das kann man eben so leicht nicht sagen. Zwar lässt sich berechnen, wie viele Emissionen in einer Ware enthalten sind, also wie viele bei der Herstellung freigesetzt wurden. Man kann daraus jedoch nicht direkt schließen, was geschehen würde, wenn die EU anfängt, weniger Güter (und damit weniger Emissionen) zu importieren. Das mag zunächst paradox klingen. Doch wenn Europa aufhört, Güter aus China zu importieren, dann verändern sich die gesamten Handelsmuster – und nicht nur die zwischen der EU und China. Als Wissenschaftler können wir die Konsequenzen, die damit verbunden sind, bisher kaum hinreichend quantifizieren – möglicherweise werden wir das auch nie vollständig können. Wir sind uns aber zumindest sicher: Andere Länder würden ihre Produktions- und Konsummuster anpassen, wenn die EU die Importe verringert. Und China oder andere Länder selbst hätten darüber hinaus weniger Einnahmen – und damit weniger Geld, um weitere, sauber produzierte Güter aus dem Westen zu kaufen, so dass sie diese sehr wahrscheinlich selbst verstärkt mit  weniger sauberen Produktionsstrukturen herstellen würden.

Inwiefern haben Sie mit Ihrer Arbeit ein neues Forschungsgebiet betreten?
Es gab in den vergangenen Jahren eine beachtliche Zahl von Studien, die abgeschätzt haben, wie die Emissionsflüsse zwischen Ländern aussehen. Wir haben zunächst einmal alles hinterfragt: Was heißt beispielsweise, dass wir „Emissionen importieren“? Was kann man daraus lernen – was nicht? Als nächstes haben wir eine neue Methode entwickelt, um verschiedene Triebkräfte zu identifizieren. Es ging darum zu verstehen, warum Emissionstransfers überhaupt stattfinden – und was sie bedeuten.

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Welche Triebkräfte haben Sie identifiziert?
Insgesamt vier. Zunächst: die Handelsbilanz. Denn wenn ein Land mehr Waren exportiert, dann betrifft das auch die Emissionen. Zweitens: Spezialisierungsmuster, das heißt: Manche Länder sind darauf spezialisiert, Waren herzustellen, deren Produktion besonders viel Energie benötigt – etwa Maschinen. Drittens: Energieintensität; also: Wie viel Energie wird gebraucht, um eine Einheit des Bruttoinlandsproduktes herzustellen? Und viertens: Wie viel CO2 wird ausgestoßen, um eine Einheit Energie zu produzieren; konkret: Wie ist das Energiesystem aufgestellt; wie hoch ist etwa der Anteil von zum Beispiel Kohle im Strommix? Wir nennen das: die Karbonintensität.

Läuft eine solche Forschung nicht auf eine Art Weltkarte der CO2-Verantwortlichkeit hinaus? Aus der könnte sich dann ablesen lassen, wie viel ein Land in den Klimaschutz eigentlich investieren müsste.
So etwas ist vielleicht ein Fernziel. Man müsste dazu jedoch berechnen können, wie sich die Aktionen eines Landes zum Klimaschutz durch die gesamte Weltwirtschaft fortsetzen. Bisher ist das ist kaum möglich. Denn wir sollten erst einmal die grundlegenden Zusammenhänge besser verstehen. Gerade so ein Begriff wie „Verantwortlichkeit“ ist sehr schwierig. Es existiert keine brauchbare Definition. Verantwortlichkeit lässt sich nicht nach rein wissenschaftlichen Kriterien festlegen. Sie ergibt sich vielmehr aus einem politischen Diskurs. Und in dem muss es darum gehen, einen Kompromiss herzustellen: zwischen der Verantwortlichkeit der Konsumenten einerseits und der Produzenten andererseits.

Es werden CO2-Zölle debattiert. Deren Höhe soll sich danach richten, wie viel CO2 bei der Herstellung einer Ware angefallen ist. Wie stehen Sie dazu?
Auch das Thema ist kompliziert – vor allem komplizierter, als es oft thematisiert wird. Man muss sehen, dass ein Staat, der darauf verzichtet, eine Tonne Kohlendioxid zu importieren, nicht notwendigerweise verhindert, dass diese Tonne überhaupt entsteht – und die entsprechende Ware dann woanders hin verkauft wird. Sei es in ein anderes Land oder auf dem heimischen Markt des Landes, wo die Güter entstanden sind. Grundsätzlich muss man sehen, dass wir Europäer nur einen begrenzten Einfluss darauf haben, wie intensiv andere Länder Klimaschutz betreiben. Zölle helfen nur wenig, um andere Staaten in Richtung mehr Klimaschutz zu beeinflussen. Bestenfalls lässt sich damit auf den Exportsektor eines Landes einwirken. Man sollte genau wissen, wie man solche Zölle entwirft. Immerhin wissen wir, dass man wohl nicht viel falsch macht, wenn man Zölle auf sehr energieintensive Produkte erhebt, auf Stahl, Aluminium und Zement.

Welche Alternativen sehen Sie zu den Zöllen?
Aus ökonomischer Sicht wäre ein globaler Preis für Emissionen ideal. Dafür ist ein globales Abkommen notwendig. Erste Länder denken bereits nach, einen regionalen CO2-Handel einzuführen. Mexiko, Korea, Vietnam und China haben eigene Emissionshandelssysteme angekündigt und teilweise bereits Pilotprojekte begonnen. Das sind vielversprechende Entwicklungen. Mittelfristig kann man diese Emissionshandelssysteme verknüpfen. Ferner existiert ja der Green Climate Fund, der ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutzprojekte mobilisieren soll.

Das Gespräch führte Dirk Liesemer.

ATT11036_150.jpgZum Gesprächspartner
Dr. Michael Jakob studierte Physik, Volkswirtschaft und internationale Beziehungen in München, St. Gallen und Genf. Seit 2007 arbeitet er am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Politikinstrumente im Forschungsbereich Nachhaltige Lösungsstrategien und koordiniert das Projekt Entdeken.

Foto oben: Welthandel © Marco2811 – Fotolia.com
Foto links: Michael Jakob – Copyright: privat

© natur.de – Dirk Liesemer
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