Auch Vögel können gestresst sein: Lärm, schlechtes Wetter und vor allem Nahrungsmangel sorgen dann dafür, dass auch sie vermehrt Stresshormone ausschütten – und ihr Verhalten entsprechend verändern. Aber wie wirkt sich Stress auf Vogelfamilien aus? Wer leidet am meisten, Eltern oder Kinder?
Krabbentaucher unter Stress
Um das herauszufinden, haben Biologen der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität Danzig ein Experiment mit Krabbentauchern (Alle alle) durchgeführt. Diese langlebigen Meeresvögel brüten in großen Kolonien an Felsklippen in den arktischen Regionen. In dieser harschen Umgebung sind sie häufig mit Stress durch Nahrungsmangel und schlechte Wetterbedingungen konfrontiert. Dennoch ziehen sie jedes Jahr ein Junges auf und füttern das schnellwachsende und daher sehr hungrige Küken knapp einen Monat lang.
Um die Auswirkungen des Stresses auf die Krabbentaucher-Familien zu untersuchen, griffen die Forscher zu einer List: Sie fütterten die wildlebenden Jung- oder Elternvögel mit Pellets, die das Stresshormon Kortikosteron enthielten. Auf diese Weise konnten sie gezielt das Stressniveau der Jungvögel, der Eltern oder aber beider heraufsetzen. Welche Folgen dies hatte, ermittelten die Biologen durch Belauschen per Mikrophon und Beobachtung der Vogelfamilien.
Füttern bis ans Limit
Dabei zeigte sich: Sind nur die Jungvögel gestresst, reagieren sie darauf mit verstärktem Betteln. „Mehr Futter bedeutet mehr Reserven, bessere Fitness und damit höhere Überlebenschancen“ erklärt Dorota Kidawa von der Universität Danzig. „Das stärkere Bettelverhalten war ein Hilferuf an die Vogeleltern, der zu einem sichtbaren Erfolg führte.“
Tatsächlich wurden die künstlich gestressten Küken häufiger gefüttert und waren hinterher schwerer als entspanntere Gleichaltrige. „Erwachsene Krabbentaucher gehen laut unseren Ergebnissen im Normalfall ans eigene Limit, an ihr Fürsorgemaximum, um den Nachwuchs ausreichend versorgen zu können“, sagt Rupert Palme von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Dieses aufopfernde Verhalten hat allerdings seine Grenzen, wie die Forscher beobachteten.
Bei Stress sind Vogeleltern sich selbst die nächsten
Wenn die Eltern selbst unter erhöhtem Stress litten, war es mit ihrer Aufopferung schnell vorbei. Denn dann kümmerten sie sich in erster Linie um ihr eigenes Wohlergehen. Sie ließen die Jungvögel länger allein, um sich selbst ausgiebig mit Nahrung versorgen zu können. Dadurch fütterten sie ihren Nachwuchs seltener und der körperliche Zustand der Jungvögel verschlechterte sich.
„Damit sind sie aber keine Rabeneltern“, betont Palme. „Das entspricht ganz normalen Vorgängen in der Natur, die nicht mit unserem Verhalten und Verantwortungsgefühl verglichen werden können.“ Denn für die langlebigen Krabbentaucher ist es wichtiger, das eigene Leben zu sichern, ein weiteres Jahr zu überleben und dann wieder Nachwuchs zu bekommen als das eine Küken um jeden Preis durchzubringen. Denn wenn es zu wenig Futter gibt oder das Wetter extrem schlecht ist, sinken dessen Überlebenschancen ohnehin – selbst wenn sich die Vogeleltern aufopfern.
Quelle: Veterinärmedizinische Universität Wien, Fachartikel Journal of Ornithology, doi: 10.1007/s10336-016-1382-y