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Umweltbewegung in China: „Die Menschen verschaffen sich Gehör“

Wachsendes Umweltbewusstsein im Reich der Mitte

Umweltbewegung in China: „Die Menschen verschaffen sich Gehör“
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China © Delphimages - Fotolia.com
Verwunschene Landschaften gibt es in China, aber auch dramatische Umweltprobleme. Seit einiger Zeit werden radikale Pläne zur Lösung der Probleme entworfen. Aber wie groß sind eigentlich die ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen? Ein Gespräch mit der Sinologin Maria Bondes, die zurzeit in China zum Thema Umweltaktivismus forscht.

Fotolia_27190638_XS_250.jpgInwiefern steckt China in einer Zwickmühle – zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltverschmutzung?
Chinas politische Elite hat während der Reform- und Öffnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte vor allem auf schnelles Wirtschaftswachstum gesetzt und dabei wenig Gewicht auf nachhaltige Entwicklung gelegt. Auch die Legitimität der Kommunistischen Partei basierte seit den 1970er Jahren vor allem auf wirtschaftlicher Performanz. Die Probleme dieser einseitigen Wirtschaftsentwicklung werden zunehmend sichtbar und die Toleranz der Bevölkerung, diese Kosten des Systems zu tragen, nimmt ab. Wachsende soziale Ungleichheit und Umweltprobleme führen zu sozialen Spannungen.
Die Parteielite hat erkannt, dass die Umweltprobleme nicht nur ein Hemmnis für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sind, sondern zunehmend auch ihre politische Legitimität bedrohen. Seit den 1990ern findet daher eine allmähliche Verschiebung der chinesischen Politik hin zu nachhaltiger Entwicklung statt. In den letzten Jahren ist die Lösung der Umweltprobleme in den Fokus der chinesischen Innenpolitik gerückt. Der aktuelle Fünfjahresplan (2011-2015) gilt als „grüner“ Fünfjahresplan, bei dem eine nachhaltigere und auch gesellschaftlich ausgewogenere Entwicklung an erster Stelle steht. Pläne und deren Umsetzung sind in China aber immer noch zweierlei.

Es heißt, dass China vorbildliche Umweltgesetze hat. Warum werden die Gesetze offenbar nicht strikt befolgt?
Auch wenn die Umweltgesetzgebung in einigen Bereichen noch der Verbesserung bedarf, hat China in der Tat ein umfassendes System an Umweltgesetzen und Regulationen, das stetig verbessert und angepasst wird. Bei der  tatsächlichen Implementierung dieser Gesetze gibt es aber einige Probleme: Zum einen sind die politische Zuständigkeit und die Entscheidungsstrukturen im Umweltbereich stark fragmentiert. Eine große Zahl an politischen Akteuren mit unterschiedlichen Zielen und Interessen ziehen an verschiedenen Strängen.
Zum anderen ist das heutige Umweltministerium trotz der Aufwertung seines Status im Jahr 2008 noch ein vergleichsweise schwacher Spieler im politischen System. Das Hauptproblem ist aber die Umsetzung auf der lokalen Ebene. Hier verhindern das Fehlen unabhängiger Gerichte, lokale Korruption, Mangel an Kontrolle und laxe Strafverfolgung häufig eine effektive Implementierung. Hinzu kommt das Evaluierungssystem für lokale Kader, das noch immer stark auf wirtschaftliche Erfolge und weniger auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.

Wie dramatisch ist die Umweltverschmutzung in China?
Die Umweltverschmutzung in China hat gravierende Ausmaße angenommen. Ein Großteil der Probleme ist dabei menschengemacht. Die größten Probleme sind Wasserverschmutzung und Wassermangel, Luftverschmutzung, die zunehmende Müllproblematik, die eng mit der enormen Bodenbelastung zusammenhängt, und Desertifikation oder fortschreitende Wüstenbildung. Nur um einige Beispiele für das Ausmaß der Probleme zu nennen: Rund ein Drittel des chinesischen Flusswassers ist verschmutzt und in den Städten ist etwa die Hälfte des Grundwassers nicht trinkbar. Besonders im Norden Chinas leidet die Bevölkerung unter akutem Wassermangel und laut Weltbank haben mehr als 30 Prozent der Landbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Mehr als 90 Prozent der Stadtbewohner atmen Luft, die von der EU nicht als sicher eingestuft wird; und so nehmen als eine Folge Atemwegserkrankungen stetig zu. Die Bilder vom Pekinger Smog gingen ja kürzlich durch die Presse. Ein Problem, das in Deutschland weniger wahrgenommen wird, aber seit den 1970er Jahren zu einem der akutesten Umweltproblemen des Landes zählt, ist die fortschreitende Wüstenbildung vor allem im Nordwesten. Etwa ein Viertel Chinas ist von Wüsten bedeckt, die sich rasch ausbreiten. China verliert jährlich etwa 3.400 Quadratmeter an den Sand, eine Fläche so groß wie Berlin und das Saarland zusammen. Das führt nicht nur zu gewaltigen ökonomischen Verlusten, sondern auch die sozialen Kosten sind enorm: Etwa 170 Millionen Menschen sind in China von der Wüstenbildung betroffen. Auf der Suche nach weniger ökologisch fragilen Regionen werden sie leicht zu Umweltflüchtlingen.

Wie stark ist die Umweltbewegung in China; inwiefern wird sie gehört und kann sie ihre Positionen öffentlich machen oder sogar durchsetzen?
Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der chinesischen Umweltorganisationen rapide gewachsen und sie gelten als aktivster Teil einer entstehenden chinesischen Zivilgesellschaft. Die chinesische Regierung hat erkannt, dass sie bei der Lösung der Umweltprobleme auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen ist und überträgt den neuen sozialen Kräften zunehmend Verantwortung in diesem Bereich. Dabei soll aber die politische Führung nicht in Frage gestellt werden und die Organisationen müssen sich an bestimmte Spielregeln halten. Eine strikte Gesetzgebung erschwert bislang die Gründung neuer Organisationen, ermöglicht staatliche Kontrolle und soll die Zahl der Organisationen überschaubar halten.
Während sich Umweltorganisationen weitgehend an den ihnen vorgeschriebenen Rahmen halten und ihre Einflussmöglichkeiten begrenzt sind, werden sie zunehmend in politisch sensibleren Bereichen aktiv, etwa gegen geplante Staudammprojekte oder im Rechtsschutz für Verschmutzungsopfer. Und sie nehmen wachsenden Einfluss auf die nationale Umweltpolitik. Zudem gründen sie effektive Netzwerke und seit den 1990er Jahren gab es diverse erfolgreiche nationale Umweltkampagnen. Auch wenn eine nationale Umweltbewegung erst im Entstehen ist, wächst die Rolle der chinesischen Umweltorganisationen beim Vorantreiben einer grünen Entwicklungspolitik und der effektiveren Umsetzung der Umweltgesetze.

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Was für Menschen engagieren sich – die aufkommende Mittelschicht, Bildungsbürger oder vor allem Betroffene?
Anfangs waren vor allem besser ausgebildete junge Menschen in den großen Städten die Träger der chinesischen Umweltbewegung. Sie arbeiten häufig eng mit Umweltjournalisten zusammen oder sind selbst Medienleute. Die erste Generation der chinesischen Umweltaktivisten hatte oft gute bestehende politische Netzwerke und Einflussmöglichkeiten. Aktuell breitet sich der Umweltaktivismus auch in kleineren Städten und ländlichen Regionen aus. Eine weitere Entwicklung ist die wachsende Zahl der Umweltproteste durch Betroffene. Massenproteste gegen Umweltverschmutzung oder den Bau von Fabriken und anderen Anlagen, etwa in Dalian, Shifang und Qidong, sind kürzlich durch die Presse gegangen.
Auch innerhalb Chinas werden diese Proteste als neues Phänomen viel diskutiert und mit dem NIMBY (Not-In-My-Backyard)-Aktivismus westlicher Industriegesellschaften verglichen. Während sich in den städtischen Protesten vor allem die wachsende Mittelschicht engagiert, auch gegen Projekte im Planungsstadium, verschaffen sich auf dem Land Verschmutzungsopfer und Gegner entsprechender Bauprojekte Gehör. Das zeugt von einem wachsenden Umwelt- und Problembewusstsein, besserem Zugang zu Informationen durch die Liberalisierung der Medien und das Internet, aber auch der sich verbessernden Gesetzeslage für Betroffene.

Glauben Sie, dass China seine Umweltprobleme in absehbarer Zeit in den Griff bekommt?
Ich denke, dass sich sowohl die chinesische Regierung als auch die chinesische Bevölkerung der Umweltprobleme zunehmend bewusst sind und dass von Seiten der Gesellschaft wachsender Druck für eine nachhaltigere Entwicklung ausgeübt wird. Angesichts des Ausmaßes der Probleme wird es sicherlich nicht einfach sein, sie in den Griff zu bekommen. Graduelle Verbesserungen im Umweltschutz werden nicht ausreichen, solange sie von der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung ständig wieder überholt werden. Vor allem aber hängt das Gelingen von einer effektiveren Umsetzung der Umweltregulationen auf der lokalen Ebene ab, wo Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung noch immer stark miteinander konkurrieren.

Foto: China © Delphimages – Fotolia.com

Anmerkung
In der August-Ausgabe unseres Magazins erzählen wir ausführlich vom Aufbruch der chinesischen Umweltbewegung; die Ausgabe erscheint am 19. Juli. Das Interview mit Maria Bondes diente uns zur Hintergrundrecherche und Einordnung der Entwicklungen. Da die Wissenschaftlerin zurzeit in China forscht, wurden die Fragen schriftlich gestellt – von Dirk Liesemer.

Hebei_150.jpgZur Wissenschaftlerin
Maria Bondes ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA Institut für Asien-Studien und Doktorandin im Fachbereich Sinologie an der Universität Hamburg. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich mit sozialen Bewegungen, sozialem Aktivismus und zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in China, vor allem im Bereich Umweltpolitik. In Ihrer Dissertation untersucht sie die Diffusion von Umweltaktivismus auf der lokalen Ebene im urbanen und ländlichen China.

© natur.de – Dirk Liesemer
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