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Unverwüstlicher Pionier

Blaugrüne Felskugel ist Alge des Jahres 2017

Unverwüstlicher Pionier
Blaugrüne Felskugel
Die Blaugrüne Felskugel unter dem Mikroskop: Die Gallerthüllen schützen das Cyanobakterium vor Austrocknung und zuviel Sonne. (Foto: Tatyana Darienko/ Universität Göttingen)
Uralt und unverwüstlich: Ein kaum bekanntes, aber fast überall vorkommendes Lebewesen ist die Alge des Jahres 2017: Die Blaugrüne Felskugel (Chroococidiopsis) existiert seit Milliarden von Jahren, lebt selbst in Gestein und Flechten und trotzt auch extremsten Bedingungen.

Auf den ersten Blick ist sie eher unscheinbar: Betrachtet man die Blaugrüne Felskugel unter dem Mikroskop, sieht man nur ein paar rundliche, grüne Gebilde. Doch dieses Cyanobakterium kommt nahezu überall auf der Erde vor: „Die Blaugrüne Felskugel lebt in Europa, der Arktis und der Antarktis, in der afrikanischen Namib-Wüste, auf dem australischen Uluṟu, im US-amerikanischen Grand Canyon und in Asien in den Wüsten Gobi und Taklamakan“, berichtet Algenforscher Burkhard Büdel von der TU Kaiserslautern. Selbst unter Quarzkieseln in der hochgelegenen Tundra Tibets oder in Flechten auf tropischen Inselbergen kommt der Pionier unter den Algen vor.

Pionierarbeit an Extremstandorten

An lebensfeindlichen Orten ist die Blaugrüne Felskugel meist das erste und zunächst einzige Lebewesen, dass sich ansiedeln kann. Denn sie verträgt nicht nur hohe und niedrige Salzkonzentrationen und UV-Strahlung, sondern verkraftet auch ein breites Temperaturspektrum. Außerdem übersteht der nur wenige Tausendstel Millimeter große Einzeller selbst starken Wassermangel ziemlich problemlos.

Die Blaugrüne Felskugel überlebt sogar dann noch, wenn sie nur an fünf bis sechs Tagen im Jahr genug Wasser hat um aktiv zu sein. Benetzt man das Cyanobakterium wieder mit Wasser, läuft die Fotosynthese schon nach 10 bis 20 Minuten wieder auf Hochtouren. „Wir haben Chroococcidiopsis sowohl in den obersten drei bis vier lichtdurchlässigen Millimetern in Granit, Marmor und Sandsteinen als auch in den trockenen Böden der Wüsten und in heißen Quellen gefunden“, schildert Büdel.

Braucht kaum Licht

Die blaugrüne Felskugel kommt darüber hinaus mit extrem wenig Licht aus. Mit Hilfe ihrer Phycobilin-Pigmente können die Cyanobakterien an sehr dunklen und lichtarmen Standorten das wenige zur Verfügung stehende Licht optimal für die Photosynthese ausnutzen. „Die Blaugrüne Felskugel benötigt nur ein Zehntel der Lichtmenge eines trüben Wintertages und weniger als ein Fünfunddreißigstel der Menge eines sonnigen Sommertages“, veranschaulicht Büdel.

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Diese Fähigkeit ermöglicht es den Algen, selbst an der Unterseite von Steinen oder unter der Steinoberfläche Photosynthese zu betreiben – an Orten, an dem viele andere Lebewesen die Sonne nicht mehr zur Energiegewinnung nutzen können. Dadurch besiedelt die Blaualge selbst Steine und Böden in der Arktis und Antarktis und trägt in Trockengebieten dazu bei, die Wüstenbildung aufzuhalten.

Felskugel 2

Die Blaugrüne Felskugel lebt oft in den obersten Schichten von Steinen, wie in diesem aufgebrochenen Gipsstein. (Foto: Deutsche Botanische Gesellschaft)

Hinzu kommt: Weil die Blaugrüne Felskugel den Stickstoff der Luft aufnehmen und in eigene Zellsubstanz und organische Verbindungen umwandeln kann, stellt sie lebenswichtige Elemente in ansonsten nährstoffarmen Orten zur Verfügung. Auf die Blaugrüne Felskugel folgen dann nach und nach andere Organismen und langsam entwickeln sich so auch an unwirtlichen Orten belebte Bodenkrusten. Das Cyanobakterium bereitet so den Boden für andere Lebewesen auf und wird in der Ökologie daher zu den Bodenbildnern gezählt.

Wegbereiter des frühen Lebens

Wie genetische Untersuchungen ergaben, ist die Blaugrüne Felskugel stammesgeschichtlich sehr alt. „Vermutlich hat sich die Gattung bereits vor rund zwei Milliarden Jahren entwickelt. Sie erinnert daher an sehr ursprüngliche Formen von Cyanobakterien“, erklärt Büdel. Cyanobakterien begannen vor etwa 2,4 Milliarden Jahren, große Mengen Sauerstoff zu produzieren Dadurch erst stieg der Sauerstoffgehalt der Uratmosphäre auf die heutigen rund 20 Prozent.

„Während dieser zwei Milliarden Jahre waren Cyanobakterien, die so ähnlich waren wie die Blaugrüne Felskugel, vermutlich die unangefochtenen Herrscher des Planeten“, sagt Büdel. Sie begannen, Umwelt und Lebewesen auf der Erde entscheidend zu verändern. Die Organismen fanden durch die Pionierarbeit der Cyanobakterien Sauerstoff zum Atmen vor und die sich bildende Ozonschicht absorbierte die schädliche UV-Strahlung der Sonne. Dies war eine wichtige Voraussetzung für die weitere Evolution des Lebens auf der Erde.

Auch später leisteten Cyanobakterien einen wichtigen Beitrag zur Evolution der Lebewesen. Denn Grün- und Rotalgen, Moose und höhere Pflanzen können nur deshalb Sonnenlicht zur Energiegewinnung nutzen, weil sie sich in früherer Zeit ein Photosynthese treibendes Cyanobakterium einverleibt hatten. Ohne Cyanobakterien hätten sich daher viele Lebensformen, die wir heute kennen, wohl niemals entwickelt.

Helfer beim Terraforming

Ihre Unverwüstlichkeit und die Fähigkeit, neuen Lebensraum zu erschließen, machte die Blaugrüne Felskugel sogar zu einem Kandidaten, den die NASA auf den Mars ansiedeln wollte. In den 1980er und 90er Jahren galt Chroococcidiopsis gemeinsam mit vier weiteren Mikroorganismen als bester Kandidat, um den roten Planeten erdähnlicher zu machen und dessen Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern.

„Inzwischen ist man von dem ‚Terraforming Mars‘ genannten Vorhaben zum Glück wieder abgerückt, weil man den Mars nicht mit für ihn fremden Organismen kontaminieren will“, sagt Büdel. Weltraumforscher und Biotechnologen bestellen aber nach wie vor reine Chroococcidiopsis-Stämme bei den Göttinger Algenforschern. Ein Grund dafür ist, dass Cyanobakterien und andere Algen gut dazu geeignet sind, in Lebenserhaltungssystemen von Raumstationen oder Planetenkolonien Sauerstoff und Biomasse zu produzieren.

Quelle: Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG)

© natur.de – Nadja Podbregar
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