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Von wegen altes Eisen!

Plädoyer fürs Großeltern-Sein

Von wegen altes Eisen!
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Großmutter und Enkel
Ohne Großeltern wäre unsere Kulturentwicklung längst ins Stocken geraten. Schon seit rund 30.000 Jahren bringen die Älteren die Menschheit voran. natur-Redakteurin Susanne Friedmann erklärt, warum sie so wichtig sind und warum auch Männer mit dem Kinder-Kriegen nicht bis ins Großeltern-Alter warten sollten.

Allein beim Menschen also quittiert das weibliche Fortpflanzungssystem bereits komplett seinen Dienst, wenn der ganze Rest noch so gut in Schuss ist, dass wir locker 20, 30, ja 40 Jahre lang weitermachen können. Diese Überlegungen führten zur sogenannten „Großmutter-Hypothese“.

Nun weiß jede Mutter, deren Mutter für ihre Enkelkinder da ist, was sie selbst, ihr Mann und ihre Kinder, davon haben. Und jede Großmutter, die sich um ihre Enkel kümmert, weiß sehr genau, wofür sie gut ist. Eigentlich braucht es also keine wissenschaftliche Theorie, um den „Nutzwert“ älterer, bereits unfruchtbarer Frauen zu untermauern. Aber es ist doch immer wieder schön, wenn gefühlte Wahrheiten sich wissenschaftlich bestätigen – und vor allem, wenn sie aus der Urzeit des Menschseins herleiten lassen.

Der Ursprung der Großeltern

Um Hinweise auf die Frühzeit des Menschen zu erhalten, untersuchten Anthropologen in noch traditionell lebenden Stammeskulturen das Verhalten der älteren Generation. Und konnten nachweisen, dass dort die Mithilfe älterer Frauen beim Aufziehen des Nachwuchses ganz entscheidend zum Überleben der Enkelkinder beiträgt.

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Andere Forscher, wie der Evolutionsbiologe Jan Beise vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung und der Soziobiologe und Professor der Biophilosophie an der Universität Gießen Eckart Voland, durchforsteten Kirchenbücher und Steuerlisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert nach Hinweisen auf die Bedeutung von Großmüttern. Ihre Auswertungen zeigten, dass ältere Frauen, die keine eigenen Kinder mehr bekamen und ihre Töchter bei der Pflege und Ernährung der Enkel unterstützten, eindeutig dafür sorgten, dass mehr Enkel überlebten und dass ihre Töchter zudem mehr Kinder in die Welt setzten als andere junge Frauen ohne eine solche Hilfe.

Eine Win-win-Situation also, ein erfolgreiches Geben und Nehmen, das sich wahrscheinlich schon in der Frühzeit des Menschen durchgesetzt hat: Die Großmutter macht sich durch ihren Einsatz für die Familien ihrer Töchter unentbehrlich. Damit sorgt sie zugleich für sich, sichert und verlängert ihr eigenes Leben und kann ihre Gene, darunter auch jene, die für die Langlebigkeit verantwortlich sind, indirekt über zahlreiche Enkel weiter verbreiten, sodass es nach und nach immer mehr langlebige Menschen gibt.

Großmütter lassen uns lange leben

Der evolutionäre Vorteil der Menopause ist evident: Die ältere Frau muss nicht mehr selbst die körperlichen Strapazen von Schwangerschaft und Geburt auf sich nehmen, kann aber durch ihr langes Leben ihre Tochter als Großmutter unterstützen, die deshalb mehr Kinder großzieht, die wiederum besser ernährt und versorgt werden, bessere Überlebenschancen haben und ihrerseits wieder mehr Kinder bekommen können. Unsere Langlebigkeit verdanken wir also alle, Männer wie Frauen, den prähistorischen Großmüttern.

In neueren Studien interessierten sich die Evolutionsbiologen und Anthropologen irgendwann auch für die älteren Männer in der Steinzeit. Und zwar nicht mehr in der Rolle der ewigen Erzeuger, sondern in der zweiten Reihe, als Großväter, die sich nicht mehr fortpflanzen (können).

Da sich das mit dem „Nicht-mehr-Können“ beziehungsweise der „Risikozeugung“ noch nicht weiträumig herumgesprochen hat, hier ein kleiner Exkurs. In der Einschätzung der männlichen Zeugungskraft ist die Medizin nämlich in den letzten Jahren zu neuen Ergebnissen gelangt.

Die biologische Uhr tickt auch für ihn!

Die Illusion von ihrer „ewig jungen Biologie“ kann Männer in jüngeren Jahren dazu verleiten, das Kinderzeugen bis in die Lebensmitte oder darüber hinaus aufzuschieben. Oder dazu, es später, in einer zweiten oder gar dritten Runde mit neuen (jungen) Frauen zu wiederholen und in fortgeschrittenem Alter nochmals Vater zu werden.

Wobei das gar nicht so einfach ist und womöglich auch ein Grund dafür, dass es in unseren Breiten derzeit zu wenig Nachwuchs gibt. Denn nach einem Anstieg des Sexualhormons Testosteron ab der Pubertät bis etwa zum 30. Lebensjahr, nimmt die Testosteronkonzentration im Blut des Mannes mit etwa 35 oder 40 Jahren kontinuierlich ab, um jährlich etwa ein bis zwei Prozent. Im Klimakterium virile, den männlichen „Wechseljahren“, die bereits mit 35 Jahren einsetzen können, fällt die Menge des Ejakultats auf unter zwei Milliliter, seine Zusammensetzung verändert sich, und die Wahrscheinlichkeit, genügend Samen zu produzieren, um Kinder zu zeugen, sinkt erheblich. Zugleich nimmt die Qualität der fruchtbaren Spermien ab.

Schon bei Vätern über 35 ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutter ihrer Kinder eine Fehlgeburt erleidet, um ein Viertel erhöht. Studien in Finnland haben gezeigt, dass das Sterberisiko für Kinder von Vätern über 30 ansteigt, und für Kinder von über 45jährigen Vätern bereits dreimal so hoch ist wie für die Kinder jüngerer Väter. Denn Krebserkrankungen, Diabetes und Herzfehler kommen bei Kindern alter Väter deutlich häufiger vor.

US-amerikanische Forscher haben kürzlich auch einen Zusammenhang zwischen der Intelligenz der Kinder und dem Alter ihrer Väter ermittelt. Während der Nachwuchs älterer Mütter durchschnittlich intelligenter ist als der jüngerer Frauen, schneiden die Kinder von Vätern über 50 beim Intelligenztest um durchschnittlich sechs IQ-Punkte schlechter ab als die von 20-jährigen Männern. Das ist nicht viel, aber eindeutig. Dass das Risiko für Schizophrenie und Autismus bei Kindern von Vätern über 50 fast genauso hoch ist wie das Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom bei Frauen ab 35, ist erst den wenigsten bewusst. Und schwedische Forscher konnten nachweisen, dass Kinder von über 55-jährigen Männern später ein signifikant höheres Risiko haben, an manisch-depressiven Störungen zu erkranken.

Auch Spermien altern

Dass bislang vor allem ein höheres Alter der Mutter als Risikofaktor für die Gesundheit des Kindes galt, liegt daran, dass man annahm: Eizellen altern, Spermien nicht. Frauen kommen nämlich bereits mit ihrem kompletten Satz an Eizellen auf die Welt, aus dem dann ab der Pubertät Monat für Monat ein Ei heranreift. Eizellen sind also immer genauso alt wie „ihre“ Frau. Und je älter, desto anfälliger werden sie für genetische Defekte.

Im Unterschied zu den Eizellen der Frau sind die Spermien der Männer nicht auf Vorrat angelegt, sondern werden ab der Pubertät im Hoden etwa alle 16 Tage neu gebildet, sind also im Prinzip, immer frisch und ewig jung.

Inzwischen aber weiß man von 20 Erbkrankheiten, die auf defekte Spermien zurückzuführen sind. Nur sehr selten kommt es zwar zu körperlichen Behinderungen, wie etwa der Achondroplasie, bei der die Kinder mit verkürzten und verformten Arm- und Beinknochen zur Welt kommen. Dagegen treten psychische Störungen bei Kindern älterer Väter ähnlich häufig auf wie das Down-Syndrom bei Kindern älterer Mütter.

Warum viele dieser Vater-abhängigen Krankheiten entstehen, ist noch nicht ganz sicher geklärt. Die meisten Genforscher nehmen aber an, es liege daran, dass sich die Spermien eines älteren Mannes schon zu oft geteilt haben. Jede neue Keimzelle wird nämlich dadurch gebildet, dass sich eine ältere teilt.

Bei einem 50 Jahre alten Mann haben sich die Vorläuferzellen der Spermien im Durchschnitt schon über 800-mal geteilt. Da bei jeder Teilung das Erbgut im Zellkern verdoppelt wird, schleichen sich leicht Fehler ein. Normalerweise können diese Fehler zwar korrigiert werden, doch je älter die Männer, desto schlechter scheint das Reparatursystem zu funktionieren. Bei einigen Defekten, die zu schweren Erkrankungen der Kinder führen, bilden sich sogar ausgerechnet jene Zellen zu fertigen aktiven Samenzellen aus, die die folgenschwere Mutation in sich tragen.

Alte Väter lassen Kinder alt aussehen

Die Wissenschaft ist sich heute jedenfalls sicher, dass der Zahn der Zeit am männlichen Sperma genauso nagt wie an den weiblichen Eizellen. Allerdings hat diese Erkenntnis für die Praxis bislang kaum Folgen. Denn anders als für den Nachweis des Down-Syndroms gibt es für die meisten Krankheiten, die mit dem Alter des Vaters zusammenhängen, noch keine geeigneten Diagnosemethoden.

Da Schwangere außerdem häufig Embryonen mit extrem schweren Behinderungen schon in der Frühschwangerschaft verlieren, bei Abgängen, die sie oft gar nicht bemerken, muss man davon ausgehen, dass der Einfluss des väterlichen Alters noch wesentlich größer ist, als die Zahl der mit Behinderungen geborenen Kinder vermuten lässt.

Während manche Genetiker schätzen, dass ein Viertel aller Fälle von Schizophrenie auf das Alter der Väter zurückzuführen sei – was auch eine Erklärung für den Anstieg psychischer Erkrankungen in den westlichen Ländern liefern würde – , halten andere eine einzelne Genmutation des väterlichen Spermas als Auslöser – etwa auch von Autismus – für nicht ausreichend. Wenn nicht noch schwierige Lebensumstände und andere Umweltfaktoren hinzukämen, sagen sie, sei das Risiko für die Kinder, tatsächlich zu erkranken, nur gering. Wobei die Tatsache, mit einem Vater aufzuwachsen, der bereits auf der Lebenstufe eines Großvaters angekommen ist, möglicherweise per se schon eine komplizierte Lebenssituation darstellt.

Nicht nur die Mütter

Doch egal, wer was wie einschätzt – es ist wichtig, dass Ärzte Männer darauf hinweisen, dass auch ihr Alter für die Gesundheit ihrer Kinder eine entscheidende Rolle spielt. Auch aus Gründen einer gerechteren psychischen Lastenverteilung. Denn bislang lastete die Verantwortung, als „späte Mutter“ eine Schwangerschaft zu riskieren und damit auch für die Konsequenzen verantwortlich zu sein, fast ausschließlich auf den Schultern beziehungsweise dem Bauch der Frauen.

Und auch Frauen sollten um die Risiken einer späten Vaterschaft wissen, wenn sie sich mit einem älteren Partner Kinder wünschen. Nicht zuletzt geben diese biologischen Erkenntnisse den älteren Männern selbst Argumente an die Hand, wenn sie dem Kinderwunsch ihrer jungen Frauen etwas entgegensetzen wollen: Auch Spermien haben ein Verfallsdatum, auch die fruchtbare Zeit des Mannes läuft in der Lebensmitte – eigentlich – ab.

Ein Mann, der die Signale seines Körpers bewusst wahr- und ernstnimmt, könnte daran ablesen, dass auch auf ihn in seiner zweiten Lebenshälfte andere Aufgaben warten als die Fortpflanzung.

Ein echter Opa sein

Und hiermit zurück zur Großelternforschung. Anhand von Dokumenten ließ sich zwar kein eindeutig positiver Einfluss der Opas auf das Überleben ihrer Enkelkinder belegen, aber bei Naturvölkern stieß man immer wieder auf Hinweise, dass auch die alten Männer wichtige Funktionen wahrnehmen. Und die neuesten Studien haben schließlich gezeigt, dass prähistorische ältere Männer und Frauen jenseits der Fortpflanzungsphase gemeinsam dafür verantwortlich waren, dass sich der Homo sapiens überhaupt so weit entwickeln konnte, dass er andere Frühmenschen verdrängte und zum erfolgreichsten Menschenaffen der Welt aufstieg.

Vor etwa 30.000 Jahren wuchs die Anzahl unserer Vorfahren, die älter als 30 wurden und damit das damalige Großeltern-Alter erreichten, mit einem Mal dramatisch an. Rachel Caspari, Professorin für Anthropologie an der Central Michigan University hat das gemeinsam mit Sang-Hee Lee von der University of California herausgefunden, indem sie fossile, also versteinerte Zähne aus verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte analysierte. An den Zähnen dieser frühen menschlichen Wesen konnten die Forscherinnen ablesen, in welchem Alter sie gestorben waren: „Der Anteil der Alten ist beim Homo sapiens der Steinzeit mehr als viermal so hoch wie bei dessen Vorfahren“, sagt Rachel Caspari.

Fast gleichzeitig gab es einen enormen Entwicklungsschub für die Intelligenz und die Kreativität unserer Ahnen, der sich an den steinzeitlichen Funden ablesen lässt: In Europa entstanden die ersten Meisterwerke der Kunst, Höhlenmalereien, Skulpturen, Musikinstrumente. Neue Verfahren zur Nahrungsgewinnung wurden entwickelt, und die ersten komplexen Werkzeuge und Waffen konstruiert.

Rachel Caspari sieht zwischen beiden Phänomenen einen direkten Zusammenhang, den sie 2011 im Scientific American darlegte: Die prähistorischen Senioren waren demnach die treibende Kraft, die die explosionsartige kulturelle Entfaltung des modernen Menschen vor 30.000 Jahren erst ermöglichte.

Durch die Großeltern wurde der Homo sapiens in die Lage versetzt, andere archaische Populationen wie etwa die Neandertaler aus dem Feld zu schlagen und sich zur erfolg- und zahlreichsten menschlichen Spezies auf Erden zu mausern. „Ein höheres Lebensalter zu erreichen hat grundlegende Auswirkungen auf die Größe einer Population, auf die sozialen Interaktionen und die Genetik dieser frühen Gruppen moderner Menschen“, sagt die Anthropologin.

Das Drei-Generationen-Modell

Die Großväter spielten dabei wohl eine ebenso entscheidende Rolle wie die Großmütter. Wer nämlich länger lebt, kann einen größeren Erfahrungs- und Wissensschatz ansammeln, den er dann an seine Kinder und Kindeskinder weiterreicht. Das betrifft Kenntnisse über Gift- und Heilpflanzen oder Wasservorkommen ebenso wie Techniken zur Herstellung von Jagdgerät und Werkzeug.

Außerdem geht ein älterer Mensch mit seinen Enkeln anders um als mit seinen Kindern, und auch den Enkelkindern bedeuten Großmutter und Großvater etwas anderes als ihre Eltern. Durch die Gegenwart alter Menschen werden die Beziehungen also vielfältiger, was zu einem größeren Reichtum an Ausdrucksformen, Verhaltensweisen und daraus abgeleiteten Umgangsformen und ausdifferenzierten Ritualen führt.

Man kann daher zu dem Schluss kommen, dass erst das Alter den Menschen überhaupt zum Menschen gemacht hat. Erst die gemeinsame Fürsorge – Ernährung Pflege, Erziehung und Bildung im weitesten Sinne – durch Mütter, Väter, Großmütter, Großväter und die ganze Sippe, machten die langsame, vielfältige und Intelligenz fördernde Entwicklung der Menschenkinder möglich.

Tierfamilien bestehen aus nur zwei Generationen: Eltern und Kindern. Die Fürsorge und das „Vorausdenken“ bleiben auf die nächste Generation, sozusagen auf „das Morgen“, beschränkt, Erinnerung und Erfahrung reichen nur auf die Elterngeneration, auf „das Gestern“, zurück.

Vorgestern, heute, übermorgen

Gibt es aber drei Generationen, die miteinander leben, wird die Perspektive in beide Richtungen geweitet: der Horizont dehnt sich nun mindestens zwischen „Übermorgen“ und „Vorgestern“. Dadurch hat der Homo sapiens gelernt, die unterschiedlichen Belange anderer Menschen wesentlich differenzierter und weitreichender mitzubedenken und vorauszusehen als jeder andere Menschenaffe. Erst in diesem größeren Horizont wird so etwas wie ein Bewusstsein für „Nachhaltigkeit“ möglich.

„Es hat eine Menge Spekulationen darüber gegeben, was dem modernen Menschen, Homo sapiens, seinen Evolutionsvorteil verschaffte“, erläutert Rachel Caspari. „Diese Ergebnisse liefern eine einfache Erklärung, für die es jetzt konkrete Belege gibt: Moderne Menschen waren einfach älter und weiser.“

Ein guter Satz auch für uns heute, in einer Gesellschaft, in der immer mehr ältere und alte Menschen leben: Wir verdanken nicht nur unser Sein, sondern auch unser hochentwickeltes So-Sein den (steinzeitlichen) Großeltern.

Die Anwesenheit der älteren Generation hat die Kooperationsfähigkeit des Menschen ebenso verbessert wie seine Empathie – die Gabe, Mitgefühl zu empfinden, für andere dazusein. Menschen wurden deshalb auch wesentlich kontaktfreudiger als andere Primaten, und sie verfeinerten ihre sozialen Fähigkeiten, die ihnen wiederum das Überleben innerhalb ihres Umfelds sicherten. Der Homo sapiens wurde bindungsfähiger und lernte, Verantwortung über größere Zeiträume und für größere Zusammenhänge zu übernehmen – nicht mehr nur allein für sich und die eigene Brut, was letztlich auch Voraussetzung für die Bildung größerer Gemeinwesen bis hin zum modernen Staat ist.

Und wahrscheinlich verdanken wir unseren langlebigen Vorfahren auch die Entwicklung einer Liebesfähigkeit, die es uns möglich macht, jenseits der fruchtbaren Jahre als Mann und Frau miteinander verbunden zu bleiben.

Evolutionäre Bedeutung gilt heute noch

Nicht zuletzt lassen sich aus der evolutionären Bedeutung der älteren Generation für die Entwicklung und den Fortbestand der Menschheit auch für die Gegenwart noch Sinn und Aufgabe der Älteren ableiten: Entlastung der jungen Eltern, Förderung, Beratung und Unterstützung der Jugend. Für viele kann das auch heißen: jenseits familiärer Bindungen für unser Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen.

Wer weiß, vielleicht führt auch bei uns die Fürsorge von Großeltern – und seien es enkellose Nenn-Omas und -Opas – dazu, dass wieder mehr Kinder geboren werden? Indem Eltern wieder in die Nähe ihrer Kinder ziehen, wenn sich bei denen Nachwuchs ankündigt; indem Nachbarn oder ältere Berufskollegen der jüngeren Generation ihre Hilfe anbieten. Vielleicht können die Großeltern von morgen, das sind die Midlife-Männer und -Frauen von heute, der Überalterung unserer Gesellschaft selbst entgegenwirken, indem sie die Jungen unterstützen?

Während Frauen sich solche Aufgaben meistens schon früh im Leben vorstellen können, häufiger auch „fürsorgliche“ Berufe gewählt haben, wachsen die Bereitschaft und der Wunsch, für andere da zu sein, bei Männern oft erst heran, wenn sie in der Lebensmitte angekommen sind.

Jetzt haben Männer die Chance ihr Rollen-Repertoire noch einmal ganz beträchtlich erweitern: Um die bedeutende Rolle des reifen, warmherzigen und fürsorglichen Mannes, der sich aus der Konkurrenz mit den Jüngeren herauslöst, einen Schritt zurücktritt und ihnen stattdessen mit Rat und Tat, großzügig und großmütig zur Seite steht.

Dazu passen die Erkenntnisse, die der Neurowissenschaftler Robert W. Levenson von der University of California in Berkley gewonnen hat, als er in einem Langzeitprojekt untersuchte, wie sich unser Gefühlsleben mit dem Älterwerden verändert: Erst in höherem Alter steht dem Menschen in vollem Umfang die Fähigkeit zur Verfügung, sich in andere einzufühlen, auch unglücklichen Situationen mit einer positiven, lebensbejahenden Haltung zu begegnen und sich um andere wirklich zu kümmern. Die höchsten Werte für emotionale Intelligenz und Empathie erreichten Levensons Versuchspersonen sogar erst jenseits der Sechzig.

„Zunehmend scheint sich der Sinn des Lebens um soziale Beziehungen zu drehen und darum, für andere zu sorgen und sich selbst von anderen umsorgen zu lassen“, sagt der Wissenschaftler. „Die Evolution scheint unser Nervensystem optimal für diese zwischenmenschlichen und mitfühlenden Aktivitäten im Älterwerden eingerichtet zu haben.“

Susanne Friedmann


Buchtipp:

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Der Artikel stammt in Teilen aus dem aktuellen Buch unserer Redakteurin Susanne Friedmann: Wo die coolen Kerle wohnen. Eine Expedition ins Land der Midlife-Männer. Kailash-Verlag. 192 Seiten, 14,99 Euro.

Fotos: bst2012/Fotolia; Cover Kailash-Verlag

© natur.de – Susanne Friedmann
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